Wim Wenders

Wim Wenders erhält den Ehrenpreis beim SWR Doku Festival

Nach Georg Stefan Troller und Werner Herzog geht der undotierte Preis fürs Lebenswerk mit Wim Wenders an einen weiteren namhaften deutschen Filmschaffenden. Die Würdigung findet am 30. Juni 2023 in Stuttgart statt und ist Teil der Verleihung des Deutschen Dokumentarfilmpreises. Die Laudatio hält Volker Schlöndorff. Eine Retrospektive im Rahmen des SWR Doku Festivals (27. und 30. Juni 2023) präsentiert im Vorfeld drei ausgewählte Werke des 77-Jährigen.

Neben dem Reisetagebuch TOKYO-GA (1985) werden der Publikumsliebling aus dem Jahr 1999, BUENA VISTA SOCIAL CLUB, sowie Wenders Hommage an Pina Bausch, PINA – TANZT, TANZT, SONST SIND WIR VERLOREN (2011), auf die Leinwände der Stuttgarter Innenstadtkinos geholt. Flankiert werden sie von WIM WENDERS – DESPERADO, einem 2020 veröffentlichten biografischen Dokumentarfilm von Eric Friedler, SWR Hauptabteilungsleiter im Bereich Doku und Regisseur, und Andreas Frege (Campino von der Band „Die Toten Hosen“). 

Wim Wenders, ein Tausendsassa 

1945 geboren, wächst Wenders im zerbombten Düsseldorf auf. Nach einem abgebrochenen Studium der Malerei studiert an der damals neu gegründeten Hochschule für Fernsehen und Film in München. Anfang der 1970er Jahre schließt er sich dem losen Kollektiv „Neuer Deutscher Film“ an. Dessen erklärtes Ziel ist die Reformation der verstaubten Filmlandschaft der BRD. Unter dem Slogan „Papas Kino ist tot“ strebt die Gruppe ein Autorenkino nach dem Vorbild der französischen Nouvelle Vague an, welche sich ihrerseits die Suche nach mutigen neuen Formen der Bildsprache und des Storytellings auf die Fahnen geschrieben hatte. 

TOKYO-GA

Entsprechend essayistisch mutet der Dokumentarfilm TOKYO-GA an, der 1985 erstmals bei den Filmfestspielen von Cannes in der Kategorie „Un Certain Regard“ vorgeführt wird. Wim Wenders findet bei seiner Reise durch Tokio immer neue Beispiele für den allgegenwärtigen Authentizitätsverlust. So filmt er fasziniert den boomenden Trend, ausschließlich den Abschlag des Golfsports zu üben: Für den Rest des Spiels ist in der städtischen Enge nicht genug Fläche vorhanden. 

TOKYO-GA ist gleichzeitig Reisetagebuch und ein Wandeln auf den Spuren des 1963 verstorbenen japanischen Regisseurs Yasujirō Ozu, den Wim Wenders im Film als „Heiligtum des Kinos“ bezeichnet: Seine Verehrung wird im Film mehr als deutlich. Wiederholt besucht Wenders Ozus Grabstelle, einen seiner Hauptdarsteller und dessen Kameramann, der den Tod seines langjährigen Meisters nie ganz verwunden hat.

Kaleidoskop der Moderne

Die Stadt Tokio wird als mystisch anmutender Ort inszeniert, der Wenders aus den vielen Filmen Ozus sehr vertraut ist. Das darin so geordnet wirkende Tokio kann er im Jahr seines Besuchs 1983 jedoch unmöglich wiederfinden. Als Kommentator aus der räumlichen und zeitlichen Distanz des Voice Over verleiht Wenders einem Gefühl urbaner Entfremdung Ausdruck: Die Öffnung Japans für den amerikanischen Markt hat die Gesellschaft und das Antlitz der Inselhauptstadt tiefgreifend verändert. Die Bewohner:innen scheinen durch die zunehmende Omnipräsenz von TV-Screens, die sie permanent aus der Realität herausreißen, den Bezug zur Umwelt zu verlieren.

BUENA VISTA SOCIAL CLUB

Wim Wenders trifft in seinem 1999 erschienenen Dokumentarfilm BUENA VISTA SOCIAL CLUB vor Energie sprühende, hochbetagte Musiker:innen, deren Lebensfreude und Leidenschaft das Publikum weltweit begeisterte.  

Am Tag seiner Ankunft in Kubas Hauptstadt Havanna beginnt Wenders damit, die Stadt zu erkunden. Erstmals arbeitetet er mit einer Digitalkamera. So viel Freiheit ihm der Einsatz der neuartigen Technik auch gewährt, zum Ende der Dreharbeiten hin hat er 80 Stunden filmischen Materials angesammelt, die auf 90 Minuten eingestampft werden müssen. Das Kunststück gelang: Am Ende steht ein hoch emotionaler Dokumentarfilm, der für den Oscar nominiert war.

Auslöser für Kuba-Boom

BUENA VISTA SOCIAL CLUB trägt maßgeblich zu einem um die Jahrtausendwende einsetzenden Trend bei, der sowohl kubanische Klänge als auch die damit verknüpfte Atmosphäre feiert. Letztere lebt nicht zuletzt von zwei wirkmächtigen Kuba-Mythen, nämlich Nostalgie und Sympathie. Dementsprechend gehen die Meinungen nach der Veröffentlichung des Films auseinander. Feuilletons sowie Kultur- und Filmwissenschaft kritisieren eine unreflektierte Verklärung Kubas, in der weder auf politische noch historisch schwierige Fragen eingegangen würde. Gegenstimmen hingegen sehen darin eine respektvolle, behutsame Annäherung an die Musiker:innen, die endlich zu ihrem späten, verdienten Ruhm kommen.

PINA – TANZT, TANZT, SONST SIND WIR VERLOREN

Wim Wenders steckt mitten in den Vorbereitungen zu einem Portrait der Ausnahmechoreografin Pina Bausch, als diese plötzlich verstirbt. Trotzdem verfolgt er seinen Plan weiter: Das Ergebnis ist eine Liebeserklärung an die berühmte Pionierin des Tanztheaters. 2011 wird der Film auf der Berlinale vorgestellt und gewinnt den damals noch im Rahmen des Branchentreffs DOKVILLE veranstalteten Deutschen Dokumentarfilmpreis.

Multilinguales Erzählen

Bauschs aus allen Ecken und Enden der Welt stammenden Schüler:innen in dem in Wuppertal angesiedelten Tanztheater bilden den Mittelpunkt des Films. In ihrer jeweiligen Muttersprache berichten sie von ihrer Zeit mit Pina Bausch. Ergänzt werden diese intimen Einblicke von ihrer Körpersprache, in die das Denken Bauschs durch jahrelanges, hingebungsvolles Training eingeschrieben wurde. Sie werden in Form von ausgewählten Tanzszenen, die teilweise von Liveauftritten des Wuppertaler Ensembles oder von über die Stadt verteilten Inszenierungen herrühren, visualisiert. Fans können darin vier der bekanntesten Stücke der Choreografin erkennen.

Technische Neuerungen

Dabei lotet Wenders die formalen Möglichkeiten des Mediums Film aus. Er beweist, dass der 3D-Effekt nicht ausschließlich für Actionfilme nutzbar ist. Durch die Plastizität des dreidimensionalen Kinos bringt Wenders dem Publikum ein Tanztheater näher, das sowohl Körper als auch Geist befreien will.

WIM WENDERS – DESPERADO

Das dokumentarische Portrait WIM WENDERS – DESPERADO von Regisseur Eric Friedler und Co-Regisseur Andreas Frege (Campino) rundet die Retrospektive des diesjährigen SWR Doku Festivals ab. In einem ausführlichen Artikel, verfasst von unserer Redaktion anlässlich des Kinostarts des Films im Juli 2020, gibt es weiterführende Informationen.

Tickets und Programm online

Weitere Informationen zum Programm, den Preisjurys und dem Begleitprogramm des SWR Doku Festivals (27. bis 30. Juni 2023) gibt es auf der Homepage des SWR Doku Festivals. Tickets gibt es bei den Innenstadtkinos Stuttgart.

Termine Retrospektive

TOKYO-GA: 28. Juni 2023, 14 Uhr, Gloria 1, Stuttgart

WIM WENDERS – DESPERADO: 28. Juni 2023, 15:45 Uhr, Gloria 1 (mit Filmgespräch; Regisseur Eric Friedler ist vor Ort)

BUENA VISTA SOCIAL CLUB: 30. Juni 2023, 14:15 Uhr, Gloria 2, Stuttgart

PINA: 30. Juni 2023, 14:30 Uhr, Cinema, Stuttgart

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Picture of Maggie Schnaudt
Maggie Schnaudt ist Masterstudentin und steuert regelmäßig Artikel wie Nachberichte zur DOK Premiere zu dokumentarfilm.info bei. Außerdem unterstützt sie HDF-Veranstaltungen wie den Roman Brodmann Preis oder DOKVILLE.
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