DOK Premiere im Juni: ELEVATED ART – WER KUNST AUF BERGE STELLT

Das Haus des Dokumentarfilms zeigt im Juni 2025 Timian Hopfs Dokumentarfilm ELEVATED ARTS – WER KUNST AUF BERGE STELLT als DOK Premiere in Berlin. An die Vorführung schließt sich ein Filmgespräch mit dem Kameramann Toni Bihler an. Der bundesweite Kinostart ist am 26. Juni 2025.

Kunst gehört allen und niemandem.

Das Ereignis

SMACH, das Kürzel steht für San Martin Art Culture & History. Eine Kunst-Biennale, die seit 2012 im Gadertal zwischen Badia und St. Vigil in Enneberg stattfindet. Wohlgemerkt: unter freiem Himmel, mitten in der Natur der imposanten Dolomiten. Diese respektvoll in die künstlerischen Ambitionen einbeziehend. Versuch, eine Symbiose zwischen Kunst und Landschaft herzustellen. „Elevated Art“ – ‚erhöhte‘ Kunst. Und im Subtext entsteht unwillkürlich die Frage, ob es sich auch um ‚hohe‘ Kunst handelt. Da gehen die Meinungen auseinander. Welches Kunstwerk also passt sich der Landschaft an, anverwandelt sich dieser, hebt sie hervor, zerstört sie nicht. Ein besonderes Augenmerk gilt auch der Kultur der Bevölkerung, die dem ladinischen Sprachgebiet angehören, einem romanischen Dialekt, der nur noch von Wenigen in einigen Tälern Oberitaliens gepflegt und gesprochen wird. Eine Sprachminderheit, jüdisch-spanischen Ursprungs. Ausgewählt werden von einer Jury zehn Kunstwerke für jede Ausgabe des Ereignisses. Die Künstler:innen kommen aus allen Teilen der Welt. Und jede Biennale steht unter einem eigenen Motto. Die sechste Ausgabe von SMACH im Jahr 2023 stand unter dem Motto „Sprouting“, also „Sprießen“. Gegründet wurde das Event, das bei allem Spektakulärem vor allem auch den Aspekt der Nachhaltigkeit betont, von Michael Moling, der gemeinsam mit Gustav Willeit und Katharina Moling auch für die Organisation verantwortlich ist. Das sind die Fakten zur Ausstellung.

Der Film

Timian Hopfs Film erzählt von den Vorbereitungen, gibt einen Einblick in die Überlegungen der Juror:innen, lässt die Künstler:innen zu Wort kommen, dokumentiert die nicht immer leichten Arbeiten, die erdachte Kunst in der freien – und irgendwie immer wilden, zumindest widerspenstigen Natur – aufzustellen. Im Mittelpunkt steht das Engagement des Gründers. Der von sich erzählt, seiner Leidenschaft für das Projekt, das er ehrenamtlich betreibt, wie alle Mitstreiter:innen auch, offenbart in seiner Rede einen Mix aus Gefühlen zwischen Anspannung und Verantwortung und lustvollem Hingegebensein.

Die Kamera von Toni Bihler nimmt die Szenen auf, fast wie ein Report wirkt das, befreit sich immer dann aus dem Korsett des Registrierens, wenn sie die Freiheit hat, sich in der Natur zu bewegen. Sich gleichsam zu ergehen. Riskiert leichte Schwenks und Zufahrten, insgesamt agiert die Kamera aber zurückhaltend und wahrt eine Distanz, als wolle sie die Kunst in der Natur nicht durch das Kunstvermögen des Kameramanns konterkarieren.

So wirkt die filmische Erzählung schlicht, was nicht schlecht meint; sie ist geradlinig, schnörkellos, hält sich mit dramaturgischer und narrativer Ambition zurück. Ganz dem künstlerischen Faszinosum, das sich vor dem Kameraauge darstellt, verpflichtet und ergeben. In Abwandlung des Proust’schen Satzes, dass „jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst“ ist, könnte es hier heißen, dass jeder, der Kunst betrachtet, diese nur mit eigenen Augen ansehen kann. Um sie für sich zu erschließen. Und das wirft eine Frage über diesen Film hinaus auf.

Regie: Timian Hopf; Kamera: Toni Bihler; Zweite Kamera: Patrick Steger & Timian Hopf; Produktion: Michael Kalb Filmproduktion; Produzent: Michael Kalb; Editorin: Milena Holzknecht; Gefördert durch: Film & Fernsehfonds Bayern, IDM Südtirol, Autonome Provinz Bozen – Südtirol.

Vier Sätze

Ein Bauer sagt, die Kunst von Michelangelo, da Vinci und van Gogh, die verstehe man. – VAN GOGH?

Der Bergsteiger Reinhold Messner erklärt, jeder Künstler sei ernst zu nehmen, auch wenn er Müll hinterlässt. – MÜLL?

Der Architekt Peter Zumthor, Mitglied der Jury, versteht – angesichts eines Projektvorschlags – ‚philosophically‘ nicht, was gut sei, wenn ein ‚Schtadl‘ ein Ballon werde. – PHILOSOPHISCH?

Ein Alpinist meint, die Natur selber sei ein Kunstwerk; und fragt, ob’s noch einen Geschmacksverstärker brauche. – GESCHMACKSVERSTÄRKER?

Die Frage

Was mich – ich formuliere dies mal subjektiv – an diesem lauteren kleinen Film fesselt, ich ihm und seinen Machern und den Protagonist:innen zumute, ist die nicht gestellte, aber offensichtliche Frage: wie schaut oder sieht man:frau auf Kunst? Man:frau? Wer ist damit gemeint? Ich und Du und Sie auch. Eben alle und niemand. Von der Kunst des Sehens ‚berichtet‘ dieser Film. Und wie man:frau über das Gesehene spricht. Das ist ein weiterer Schritt, der davon handelt, wie man:frau vom Sehen ‚berichten‘ kann. Wieder dieses ‚man:frau‘.

Eine Landschaft kann die Sehgewohnheiten eines ganzen Lebens prägen. Was geschieht, wenn sich in diese Landschaft etwas einnistet, was ihr auf den ersten Blick widerspricht? Und vielleicht nicht nur auf den ersten Blick. Was das Licht der Landschaft zu verdunkeln scheint. Sichtbares ist diskontinuierlich. Sehen beruht auch auf der Grundannahme, dass keine Wirklichkeit mit einer anderen geteilt werden kann. Die Fähigkeiten zu sehen, ob eine Landschaft oder ein Kunstwerk oder ein Kunstwerk in einer Landschaft, sind immer da, wenn auch nicht immer gleich. Denn die visuellen Kategorien sind fortdauernd, gleichsam unveränderlich; und darum vergisst man leicht, dass alles Sichtbare immer das Ergebnis einer einmaligen Begegnung ist. Eine Konstruktion all dessen, was aus den Fragmenten des zuvor schon einmal Gesehenen abzuleiten gewesen war.

Das Bild

Auf einer Wiese steht in einem Rahmen eine Tür. Wie ein Männlein im Walde. Berge wie steinerne Türme, die an den Wolken kratzen, ringsum. Man kann die Tür öffnen – und in die Landschaft gucken. Und sieht einen Ausschnitt von Landschaft – ohne Tür. Die zuvor die Landschaft ausschloss, sie jetzt im Ausschnitt des Türrahmens frei gibt. Wie ein Film auch immer nur eine Rahmung eines totaleren Bildes offeriert. Die Landschaft mit der Tür, die ein Kunstwerk ist, hat also einen Ort. Und der Ort eine Begrenzung. Das ergibt eine Komposition. Doch die Gesetze einer Komposition verändern sich im Lauf der Zeit. So sieht jede und jeder immer anders. Auch unter dem Vorzeichen, dass es bereits gesehen worden ist.

DOK Premiere ELEVATED ART

image_pdfAls PDF speichernimage_printDrucken
Picture of Wolfgang Jacobsen
Wolfgang Jacobsen, geboren 1953 in Lübeck, bis 2019 Leiter Forschung und Publikationen an der Deutschen Kinemathek. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur deutschen und internationalen Filmgeschichte. Arbeiten für Hörfunk und Fernsehen, schreibt über Film und Literatur. Lebt als freier Autor in Berlin.
Facebook
Twitter