DOK Premiere im Mai: BARBARA MORGENSTERN UND DIE LIEBE ZUR SACHE

Das Haus des Dokumentarfilms zeigt im Mai 2025 Sabine Herpichs Dokumentarfilm BARBARA MORGENSTERN UND DIE LIEBE ZUR SACHE als DOK Premiere in Berlin. An die Vorführung schließt sich ein Filmgespräch mit der Regisseurin und der Protagonistin Barbara Morgenstern an. Der bundesweite Kinostart ist am 15. Mai 2025.

Eine Frau sitzt vor einem Laptop. Die Haare zu einem Zopf gewunden. Finger huschen über die Tastatur, sie gibt einen Rhythmus ein. Die technische Apparatur ist ihr vertraut. Was sie macht, das ist – auf den ersten Blick – Handwerk. Sie ist konzentriert, dabei aber locker. Freut sich. Lacht in sich hinein. Die Kamera verzeichnet all dies aus einer unaufdringlichen Nähe. Aber dass eine Kamera ihr im Nacken sitzt, das weiß die Frau. Wendet sich plötzlich um und spricht die Frau hinter der Kamera an. „Intuitiv merke ich, ich hab‘ das Bedürfnis, Dir zu erklären, was ich mache. Das mache ich jetzt aber nicht.“ Die Erklärung ist nämlich der beobachtete Vorgang. Da ist noch nichts klanglich Uniformes zu hören, einige instrumentale Bruchstücke, Morgensterns Stimme ohne Begleitung. Fragmente von etwas noch Unbekanntem allenfalls. Fetzen von Soundsequenzen sind zu hören, erste Melodielinien zu ahnen. Eine Liedzeile wird von ihr gesungen. Kopfhörer isolieren die Sängerin vom Außen, ihre Stimme wirkt brüchig. Sie hat sich eingeschlossen. Beginnt plötzlich mit dem Kopf, dann mit dem Körper zu tanzen. Swingt. Rockt. Fuchst sich ein.

Barbara Morgenstern: Seit über 20 Jahren zählt sie zu den eigenständigsten und eigenwilligsten Musiker:innen dieser Republik. Komponistin, Sängerin, Chorleiterin, Keyboarderin, Musikproduzentin. So steht es im www. Autodidaktin, sei sie. Eine Erfolgsgeschichte, die in der Berliner Wohnzimmer-Szene der 1990er Jahre beginnt bis zu den preisgekrönten Produktionen mit der Theatergruppe „Rimini Protokoll“. Erfolgreiche Alben. Ausgebuchte Konzerte. Sie sei, so ein ihr angehaftetes Label, die Pionierin des lyrischen Elektro-Pop.

Schnitte – keine Generalpause

Abrupt wechselt die Erzählung. Harter Cut. Videokonferenz, Fördersummen, Kalkulationen, Zahlenwirrwarr. Ein anderer Alltag. Ein anderes Handwerk. Musik kommt nicht von Musik allein. Szenenwechsel. Großaufnahme eines Papiers, auf dem erste Zeilen geschrieben sind. Eine Hand hält einen Bleistift, setzt zum Schreiben an, zögert, dann rauschen die Buchstaben auf den Bogen. Kein Ton, einfach Stille. Die Angst vor dem weißen Blatt Papier – sprichwörtlich, aber überwindbar. Schnitt. Die Kamera insistiert und registriert jede Bewegung. Nüchtern, irgendwie faktenbesessen und endlos geduldig. Doch um welche Fakten geht es hier? Ein erstes Anspielen eines neuen Lieds auf dem Keyboard. Transformiert in den Rechner. Die Kamera hält auf den Bildschirm drauf. Die Maschine übersetzt das Gespielte und das Gesungene in Noten. Schließlich in eine Partitur. Keine Handschrift auf Notenpapier. Die Angst vor dem weißen Blatt Papier wird hier bewältigt von der ‚Intelligenz‘ eines technischen Geräts. Abstraktes Schreiben und Malen. Alles bewegt sich zwischen Fantasie und beschränktem Apparaturgenie.

Minutiös dokumentiert die Filmemacherin Sabine Herpich, die auch Kamerafrau und Editorin ihres Films ist, den Arbeitsprozess der Musikerin. Wie entsteht ein Song? Sie hat Barbara Morgenstern über die letzten Jahre begleitet. Und dokumentiert mit ihrem Film die Entstehung von deren neuem Album, mehr als fünf Jahre nach der letzten Platte „Unschuld & Verwüstung“. Das neue Werk wird den Titel „In anderem Licht“ tragen. Das ist gleichsam auch ein rhetorisches Synonym für das, was der Film nachzeichnet und verzeichnet: Komponieren, schlicht: miteinander musizieren als ein handwerklicher Vorgang. Wie eine Entzauberung durch Nachvollzug. Herpich addiert Arbeitsschritte.

„Fertig. Toll“, sagt Barbara Morgenstern einmal in die Kamera. „Das ging flott. Hab‘ ja schon ein Thema im Kopf, gestern der Beat, erste Zeilen, dann spazieren gegangen, Bilder kommen hinzu, dann kann man es schnell zusammenfügen.“

Die Bandmitglieder kommen hinzu. Der intime, so private Raum der Komponistin verlebendigt sich. Die Cellistin Alice Dixon agiert aufmerksam und wortkarg. Strahlt eine gewisse Strenge aus und stellt eine nahezu stumme Kommunikation mit dem ihr gegenübersitzenden Geiger Josa Gerhard her. Der wirkt angespannt, später ganz aufgehend im Drive der Melodie. Fast wie abseits hockt, eine Wollmütze auf dem Kopf, der Saxophonist Christian Biegai. Er folgt dem Drive, übersetzt intuitiv, was die Mitspieler:innen mit Worten verabreden. Der Schlagzeuger Sebastian Vogel nimmt den Rhythmus ab und auf, dann kommt die Kontrabassistin Berit Jung hinzu, die einige Linien zupft. Noch sitzt das alles nicht. Noch stockt das Spiel. Dazwischen agiert, hantiert Barbara Morgenstern – hat Einfälle, regt Korrekturen an, in einem vertrauten Dialog mit ihren Musiker:innen. Wer spielt was? Die Stimmverteilung überprüfen. Wie klingt ein Kontrabass? Stimmen die Einsätze? Die Rhythmik ist manchmal vertrackt. Kann man das spielen? Oder braucht es eine andere Punktierung? Manches hat vor der Probe der Rechner errechnet. Doch nun spielen Menschen, nicht Maschinen. Die Probe entwickelt eine spezifische kammermusikalische Harmonie.

Regie & Regie, Kamera & Montage: Sabine Herpich; Ton: Sabine Herpich, Tobias Büchner; Sounddesign & Mischung: Dominik Avenwedde; Produktion: Tobias Büchner; Eine Produktion von Büchner Filmproduktion gefördert von Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Künstlerinnernförderung des Berliner Senats; im Verleih von Salzgeber.

Einfall! Godard …

In seinem Film „One plus one“ fügte Jean-Luc Godard eine etwa 17-minütige Sequenz mit den „Rolling Stones“ ein. Proben für den Song „Sympathy fort he Devil“. Es ist das erste Stück der A-Seite ihres Albums „Beggars Banquet“. Godard dokumentiert fünf verschiedene Fassungen, doch nicht die endgültige, die es aufs Album schaffte. Wim Wenders hat die Szene einmal so beschrieben: „Die Stones reden nicht über das Stück. Sie brechen ab, wenn es ihnen nicht gefällt. Nur Keith Richard gibt Charlie Watts Anweisungen, wie er am Anfang mit den Tablas einsetzen soll. Charlie Watts sieht ihn dabei nicht an. Er sieht immer zur Seite, irgendwohin in die Ferne. Er sitzt in einer kleinen Zelle, durch zwei halbhohe Wände von den angrenzenden Zellen getrennt. Brian Jones und Bill Wyman sitzen in ebensolchen Zellen, nur Mick Jagger und Keith Richard nicht. Mick sitzt auf einer Art Barhocker, Keith steht oder sitzt in der Mitte von allen.“ Godard beobachtet, wie ein Song entsteht. „Und weil es nicht“, so Wenders, „auf Grund von Mühe oder Anstrengung entsteht, sondern auf Grund einer unglaublichen Kommunikation, eines völlig unwahrscheinlichen, mühelosen Verständnisses, weil man einer Utopie zuschauen kann, werden aus den ruhigen Kamerafahrten durchs Studio Weltraumfahrten und aus einem Dokumentarfilm ein Zukunftsfilm.“

Ein immer neuer Beginn, ein Gehen und Spielen im Kreis, die Ausfahrt ‚Ziel‘ muss man gemeinsam finden. Die Sequenz ist eine Parabel. Wie Herprichs Film über Barbara Morgenstern, nicht über die Person, sondern über das Faktum, wie ein Lied in die Welt kommt oder ein ganzes Album vom ersten Ton bis zur Pressung, auch als eine Parabel gelesen werden kann. Eine Parabel über eine übersehene Realität.

In seinen Film „Soigne ta Droit“ montiert Godard eine ähnliche Sequenz – diesmal mit der Gruppe „Les Rita Mitsouko“, eine Punkrock-Techno-Jazz-Gruppe, die auch elektronische Elemente in ihre Kompositionen einfügt, angeführt von der Sängerin Catherine Ringer. Auf die Frage wieso er für diesen Film diese Gruppe gewählt habe und ihr in der Erzählung so viel Raum gewähre, antwortete Godard: „Ich kann den Musikern während Stunden zusehen. Ihnen bei der Arbeit zuzuschauen, erlaubte mir, ein Fiktives zu imaginieren. Das ist ein dokumentarischer Blick, und dies, der Blick, ist völlig verloren gegangen. Seit dem Anfang des Films sind das Dokumentarische und die Fiktion zusammengegangen. Doch die Notwendigkeit, die Dinge zu sehen, bevor man von ihnen spricht, ist verschwunden. Das ist die Krise.“

Frage: Kann man diesen Gedanken auf Herprichs und Morgensterns Film wenden?

Entwicklungen – keine Punktierungen

Herprichs Film beharrt auf einem Kontinuum. Studioaufnahmen, Besprechungen zum Cover, Fotoshootings, Interviews, Videodreh. Tourbustortur. Zum Schluss ein Konzertmitschnitt. Als ob es ein Resümee brauchte. An einer Stelle bekennt Barbara Morgenstern, Musik sei für sie ein „safe place“.

Nur einmal unterbricht die Regisseurin den Beobachtungsstrom und lässt ihre Protagonistin Biografisches erzählen. Das hebt den bis dahin geltenden filmischen Zusammenhang auf, verlässt die so intensiv durchgehaltene Dichte des fixierten Schauens mit langem Atem und versetzt den Film in einen anderen, sehr viel engeren dramaturgischen Kontext.

„Alles kann anders sein“, heißt es in einem Song. „Alles wird hoffentlich wie immer sein, nur in anderem Licht“; und schließlich: „Nur die alte Welt nicht!“.

In der Philosophie spricht man vom Geist, nicht vom Ton der Zeit. Aber hat nicht der Ton die Zeit längst für sich (und uns?) erobert? „Ich dachte immer, Verbindung zählt, die Liebe zur Sache, zum Rest der Welt!“ singt Barbara Morgenstern. Das mag tröstlich sein. Und ist mehr als nur eine musikalische Erinnerung.

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Picture of Wolfgang Jacobsen
Wolfgang Jacobsen, geboren 1953 in Lübeck, bis 2019 Leiter Forschung und Publikationen an der Deutschen Kinemathek. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur deutschen und internationalen Filmgeschichte. Arbeiten für Hörfunk und Fernsehen, schreibt über Film und Literatur. Lebt als freier Autor in Berlin.
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