Vom 22.05. bis 29.05 starten sieben Dokumentarfilme im Kino: MORIA SIX, ARCHIV DER ZUKUNFT, BERLIN RHAPSODY, SPALTUNG, FRITZ LITZMANN, MEIN VATER UND ICH, „SPIELERINNEN“ sowie DER UNTERNEHMER DAS DORF UND DIE KÜNSTLER.
Regie: Jennifer Mallmann
Kinostart: 22.5.25
„Nachdem ein Feuer das Camp Moria im September 2020 komplett vernichtet hatte, wurde es gespenstisch still. Nicht nur vor Ort, sondern auch im öffentlichen Diskurs. Weder die menschenrechtswidrigen Bedingungen in den weiteren Lagern an den Außengrenzen Europas, noch die zahllosen Pushbacks im Mittelmeer schienen die Allgemeinheit näher zu beschäftigen. Auch die Verhaftung der sechs Jugendlichen, die man der Brandstiftung bezichtigte, blieb ohne weithin hörbares Echo – obwohl schon ein zweiter Blick auf die Umstände der Ermittlungen und den folgenden Strafprozess das Vorgehen der griechischen Justiz als fragwürdig offenbarte. Ganz zu schweigen von der zugrunde liegenden Flüchtlingspolitik der Europäischen Union.“ So die Verleihankündigung. Und nun, dies die Fortsetzung des so Gesetzten, will Jennifer Mallmann mit ihrem Film die Hintergründe der Katastrophe und deren bürokratisch-juristische Wirkungen ausleuchten. Sie korrespondiert mit einem der verurteilten Jugendlichen. Der seine Lage schildert und seine Hoffnungen äußert. Neue Lager sind entstanden. Die Kamera von Sina Diehl registriert exakt die Architektur dieser Lager. Die architektonische Festung wird mit diesen Bildern als eine gesellschaftliche manifestiert. Das, so der erzählerische Subtext, oftmals ergänzt durch eingelesene Tagebucheinträge der Regisseurin, sei die Zukunft Europas – eine bauliche Entmenschlichung, die der entmenschlichten Behandlung der Geflüchteten entspricht. Mallmann ist parteiisch. Das ist legitim. Wirft aber auch Fragen auf. Die Logik ihrer Erzählung ist, dass nicht das Brandunglück eine Katastrophe sei, sondern die Tatsache, dass es dieses und andere Lager gibt. Obwohl Mallmann die schon vielfach dokumentierten Bilder des Brandes in ihren Film einmontiert, gehen ihre Aufnahmen nicht über die Ergebnisse des Kollektivs Forensic Architecture hinaus, die belegen konnten, dass der Brand, sein Entstehen und seine Ausbreitung nicht so abgelaufen sein können, wie ein anonym gebliebener „Kronzeuge“ behauptete. Mallmanns zentraler Gestus ist der einer solidarisierenden Anklage. Dem mag man nicht widersprechen. Ihre emotionale „Betroffenheit“ auch teilen. Doch einen wirklich investigativen Blick auf das Fürchterliche, was auf Lesbos geschehen ist und was darauf folgte, leistet Mallmanns Film nicht. In dieser Hinsicht bleibt ihr dokumentarischer Ex- und Diskurs indifferent, doch einer mitfühlenden Erregung verpflichtet. Was nicht falsch ist.
Credits: „Moria Six“. Dokumentarfilm von Jennifer Mallmann. Kamera: ASina Diehl und Lukas Reiter. Schnitt: Maxie Borchert. Eine Produktion von FFL Film-und Fernseh-Labor Ludwigsburg in Koproduktion mit Filmakademie Baden-Württemberg und Südwestrundfunk (Junger Dokumentarfilm). Im Verleih bei Cine Global Filmverleih.
Regie: Joerg Burger
Kinostart: 22.5.25
Ein toter Löwe wird zur Präparation eingeliefert; die Haltung eines Dinosauriers dem aktuellen Forschungsstand angepasst; auf Spanplatten fixierte Schmetterlinge in einer Ablage, andernorts mumifizierte Vögel; eine Venusfigurine, die sogenannte Venus von Willendorf, fast 30 000 Jahre alt, wird digitalisiert. Die Kamera ertastet Funde. Registriert Werkzeuge – Pinzetten, Sägen, Scanner, auch DNA-Proben. Die Regie leistet sich einen forschenden Blick. Nichts ist begriffen, alles muss erst begriffen werden. Der Fundort der Schätze: das Naturhistorische Museum in Wien. Mehr als 30 Millionen Objekte sind hier über die Jahrhunderte zusammengetragen worden, um sie immer wieder aufs Neue zu befragen. Die filmische Erzählung, mit Neugier und, ja, kindlichem Staunen ausgelegt, legt Schicht um Schicht einen Mikrokosmos frei – jenseits der öffentlich präsentierten Vitrinen und Präsentationen. Das „Archiv de Zukunft“ ist ein Hort bedachter Wissenschaft, in dem über das Leben nachgedacht wir, wie es einmal war, wie es einmal sein könnte – angesichts der Erkenntnisse aus der Vergangenheit, dem immer noch lebendigen Vergangenen.
Credits: „Archiv der Zukunft“. Dokumentarfilm von Joerg Burger. Drehbuch: Joerg Burger. Kamera: Joerg Burger. Filmeditor: Dieter Pichler. Eine Produktion von Navigator Film. Im Verleih bei Real Fiction Filmverleih.
Regie: Malte Wirtz
Kinostart: 22.5.25
1942/43 ließ sich Leo de Laforgue von Walther Ruttmanns Film „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ aus dem Jahr 1927 inspirieren. Sein Film trägt den Titel „Symphonie einer Weltstadt“, doch kam es nie zu einer Aufführung, da der Film von den Nationalsozialisten verboten wurde: Das „Gesicht“ Berlins hatte sich nach den Bombenangriffen zu sehr verändert. Erst 1950 kam der Film als „Berlin, wie es war“ in die Kinos. Mit einem Kommentar von Friedrich Luft versehen. 2002 realisierte Thomas Schadt seine Neuinterpretation von Ruttmanns Film: „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“. Nun fügt Malte Wirtz dieser Berlinfilm-Serie seine Version hinzu. Abermals hat sich das Stadtbild verändert. Abermals Dramaturgie und Montage – wie auch anders angesichts der Umbrüche. Aber immer noch hält sich der Mythos von Berlin als pulsierender Metropole. Als ob das einmal tradierte Bild nicht weichen will.
Credits: „Berlin Rhapsody“. Dokumentarfilm von Malte Wirtz. Drehbuch: Malte Wirtz. Kamera: Malte Wirtz, Antje Heidemann und Rosa Wirtz. Filmeditor: Malte Wirtz. Eine Produktion von Unfiltered Artists. Im Verleih von Unfiltered Artists.
SPALTUNG
Regie: João Pedro Prado, Anton Yaremchuk (Co-Regie)
Kinostart: 22.5.25
Atomkraft? Nein danke! Atomkraft? Ja bitte! Die Kontroverse hält an. Politische Entscheidungsträger sind unerschiedlichster Meinung. In Deutschland ist der Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen; nur vereinzelt werden noch Pro-Stimmen laut. In Polen hingegen – auch vor dem Hintergrund der gerade überstandenen Energiekrise (doch was kommt noch?) – wird in Kürze ein erstes Atomkraftwerk ans Netz gehen. Die Filmemacher spüren den Stimmungen in der Bevölkerung nach – besipeilhaft im bayerischen Grundremmingen und im polnischen Choczewo. ‘Spaltung’ – der Titel spielt auf die umstrittene Technologie an und auf die gesellschaftlichen Spannungen. Die Friktionen ‘ignorieren’ Ländergrenzen.
Credits: „Spaltung“. Dokumentarfilm von João Pedro Prado und Anton Yaremchuk (Co-Regie). Kamera: Anton Yaremchuk. Filmeditor: Amélie Richter. Eine Produktion von Michael Kalb Filmproduktion in Koproduktion mit Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und ZDF (Das kleine Fernsehspiel).
Regie: Aljoscha Pause
Kinostart: 29.5.25
Die Kamera schwebt nicht über den Wolken, doch über Bonn am Rhein. Einst bundesdeutsche Hauptstadt. Also in doppeltem Sinne: die Altstadt von oben. Dort gründete 1987 Rainer Pause das „Pantheon“, eines der bekanntesten Kabaretthäuser der Republik. Es war zwar ein nicht allen Göttern des Kabaretts geweihtes Etablissement, doch verschloss es sich nicht. Dafür sorgte der Gründungsvater, der sich mit Leib und Seele – und ohne Pause – dem Kabarett verschrieb und sich mit seinem Alter Ego, der Kunstfigur Fritz Litzmann, einen persönlichen Kabarettgott erschuf. Doch Pause war nicht nur Künstler, er war auch Vater – Vater des Regisseurs Aljoscha Pause, der diesen Film in selbstreflexiver Manier über Vater und Sohn gedreht hat. Warum, so fragt er, war Familie nie eine gedachte, gar gelebte Alternative zum Lebensentwurf als Künstler? Die Sprache kommt auf Träume, Verpasstes und Verjuxtes, auf Ängste und Hoffnungen. Ein Gespräch, das Kabarettistisches streift, doch den verdeckten Ernst hinter der großen Kleinkunst erfasst. Unter Mitwirkung von Carolin Kebekus, Oliver Masucci, Michael Mittermeier, Bastian Pastewka, Gerhard Polt, Sebastian Pufpaff, Helge Schneider, Georg Schramm, Florian Schroeder, Jürgen Becker, Norbert Alich und eben Pause aka Fritz Litzmann und Sohn.
Credits: „Fritz Litzmann, mein Vater und ich“. Dokumentarfilm von Aljoscha Pause. Drehbuch: Aljoscha Pause. Kamera: Robert Schramm. Filmeditor: Claudia Spoden und Jan Richter. Eine Produktion Pausefilm in Koproduktion mit Zweites Deutsches Fernsehen. Im Verleih bei mindjazz pictures.
Regie: Aysun Bademsoy
Kinostart: 29.5.25
Aysun Bademsoy porträtierte 1995 vier Fußballerinnen einer türkischen Mädchenmannschaft aus Kreuzberg. Führe dein eigenes Leben, das war das Lebensmotto und die Botschaft der selbstbewussten Spielerinnen. Bademsoy hat sie nicht aus den Augen verloren. Dreimal hat sie die Frauen danach filmisch begleitet. Nun fügt sie ein viertes Porträt ihrer Langzeitbeobachtung hinzu. Haben sich die Wünsche der Frauen an die Zukunft erfüllt? Die Regisseurin hat auch die Töchter der Vier in ihre Beobachtungen miteinbezogen. Was bedeutet für sie das gewollte, geforderte, mit Zweifeln belegte „Deutschsein“, was ihre türkischen Wurzeln. Wie von ungefähr schichtet die Regisseurin die unterschiedlichen Perspektiven – von Identität, Tradition, Religion. Spielt die Bälle der unterschiedlichen Aussagen über ihr filmisches Feld. Wie die Frauen den Ball übers Spielfeld.
Credits: „Spielerinnen“. Dokumentarfilm von Aysun Bademsoy. Drehbuch: Aysun Bademsoy. Kamera: Ines Thomsen und Isabelle Casez. Filmeditor: Maja Tennstedt. Eine Produktion von pong film. Im Verleih bei Arsenal - Institut für Film und Videokunst e.V.
Regie: Marcelo Busse, Julia Suermondt
Kinostart: 29.5.25
2012 planten die Schweizer Künstler Frank und Patrik Riklin mit dem Bielefelder Insektizid-Hersteller Hans-Dietrich Reckhaus eine gemeinsame Kunstaktion: „Fliegen retten in Deppendorf“. Obendrein sollte die Aktion in einem Film dokumentiert wurden. Doch der Plan blieb unausgeführt, das gedrehte Material verschwand in einem Depot. Marcelo Busse und Julia Suermondt erfuhren von diesem ungewöhnlichen Kunstprojekt, entdeckten die Aufnahmen und entwickelten aus dem ‚found footage‘ und anderen Materialien einen Dokumentarfilm ganz eigener Art. Pendelnd zwischen Faktizität und Fantasie.
Credits: „Der Unternehmer das Dorf und die Künstler“. Dokumentarfilm von Marcelo Busse und Julia Suermondt. Kamera: Jelena Gernert und Patrik Riklin. Schnitt: Julia Suermondt. Eine Produktion von Marcelo Busse Filmproduktion. Im Verleih bei Real Fiction Filmverleih.
Beiträge zu den Dokus, die im Mai im Kino angelaufen sind, finden Sie hier:
→ zu den Kinostarts vom 1. bis 15. Mai 2025