Gruppenbild vor dem Kinoeingang: Harald Pulch (links), Hund Tito, Ralf Ott (Mitte), Goggo Gensch (rechts). Foto: Günther Ahner/HDF

So war die DOK Premiere OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN

Was lange währt, wird endlich Film: Die Anfänge von OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN liegen bereits in den frühen 1990ern. Harald Pulch und Ralf Ott spüren darin der Biografie des hessischen Filmpioniers nach; charmant erzählt von seiner Ehefrau Elfriede.

Während Ralf Ott dem Kinopublikum Hintergründe zum Film verrät, bleibt sein Hund Tito ganz entspannt (Foto: Günther Ahner/HDF)
Kennen sich schon lange: Regisseur Harald Pulch (l.) und DOK Premiere Kurator Kay Hoffmann (Foto: Günther Ahner/HDF)

Harald Pulch hat zahlreiche Dokumentationen fürs Fernsehen gedreht, darunter „Cinematographe Lumiere – Die Geburt des Kinos“ (1990), „Film ist Rhythmus. Werbefilm und Avantgarde“ (1991), der Zweiteiler „Die Lust an der Farbe. Die Geschichte des Farbfilms“ (1993) sowie „Als man anfing zu filmen – Der Filmpionier Oskar Messter“ (1995). Als nächstes Projekt möchte er gemeinsam mit Ralf Ott, seinem Ko-Regisseur in OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN, einen Mehrteiler zur Geschichte des Werbefilms umsetzen.

Tragendes Interview mit Elfriede Fischinger

1991 lernt Pulch durch eine glückliche Fügung Oskar Fischingers Witwe Elfriede kennen; zwei Jahre später reist er mit Kameramann Eckhard Jansen nach Los Angeles, um zu recherchieren und mit ihr im eigenen Haus zu drehen. Aus dem vierstündigen Interview fließt gut eine Stunde in OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN ein. Offenherzig, ansteckend gut gelaunt und augenscheinlich verliebt wie am ersten Tag erzählt Elfriede Fischinger von der Zeit mit ihrem Oskar. Ihm stand sie nicht nur als Ehefrau und Mutter der fünf gemeinsamen Kinder zur Seite, sondern oft auch als künstlerische rechte Hand – auch wenn sie dahingehend ihr Licht im Gespräch unter den Scheffel stellt.

Stils aus OSKAR FISCHINGER - MUSIK FÜR DIE AUGEN (via: JIP Film und Verleih)
Elfriede Fischinger erzählt vor Gemälden ihres Mannes Oskars sitzend von seinen filmischen Pioniertaten und ihren gemeinsamen Jahren als Ehepaar (Filmstills via JIP Film und Verleih)

Gleichermaßen Film- wie Liebesgeschichte

Die hinreißende Liebesgeschichte zwischen Elfriede und Oskar Fischinger trägt OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN genauso wie es die Schlaglichter auf die wegweisende Film-Kunst ihres Mannes tun:

  • Oskar, der Ende der 1920er Jahre als „Zauberer von der Friedrichsstraße“ den Raketenstart in Fritz Langs Stummfilm FRAU IM MOND auf der Leinwand „Wirklichkeit“ werden lässt. (Elfriede zeigt die kleine Rakete, mit der der Trick umgesetzt wurde.)
  • Oskar, der mit abstrakten Filmen zu rhythmischen Musikstücken wie der berühmten KOMPOSITION IM BLAU schon in den 1930ern das heutige Musikvideo vorwegnimmt. (Elfriede präsentiert diverse Studien, fertige Blätter und sogar Oskars Lumigrafen).
  • Oskar, dessen farbenfrohes „Zigaretten-Ballett“ MURATTI GREIFT EIN als Kinowerbung Mitte der 1930er Jahre mehr Menschen ins Lichtspieltheater lockt als der eigentliche Hauptfilm. (Elfriede verrät, dass sie erst nach einigen Fehlversuchen darauf gekommen sind, die Zigaretten auszuhöhlen und mit dünnen Holzstäbchen im Inneren für die Bewegungen zu stabilisieren.)
  • Oskar, dessen filmischer Tüftler- und Pioniergeist die Nationalsozialisten auf den Plan ruft und das Ehepaar schließlich zur Emigration in die USA zwingt. (Elfriede erzählt im lockeren Plauderton, dass sie bei Ausreise mit dem Schiff zahlreiche Kunstwerke sog. „Entarteter Kunst“ aus Deutschland geschmuggelt und somit gerettet haben.)
  • Oskar, der mittelos zunächst bei Metro-Goldwyn-Mayer (MGM), später bei Walt Disney anheuert, aber dort so unterbezahlt, künstlerisch eingeschränkt und unglücklich ist, dass er sich irgendwann ganz der Malerei verschreibt. (Elfriede lässt durchblicken, dass sie es nicht immer einfach hatte, die Familie mit den vielen Kindern durchzubringen, zeigt aber auch, wie viel ihr die Kunst ihres Mannes bedeutet.)

Auf die sonst üblichen einordnenden Stimmen, bspw. Historiker:innen und Filmwissenschaftler:innen, verzichtet Harald Pulch bewusst: „Elfriede hat so eine große Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit, dass es das gar nicht braucht.“ Die berechtigte Frage aus dem Publikum, warum Elfriede eigentlich nicht im Titel steht, obwohl sie so einen großen Anteil am fertigen Film hat, bleibt hingegen unbeantwortet.

30 Jahre später: Aus dem Rohschnitt wird ein fertiger Film

Und warum ist aus den tragenden Aufnahmen mit Elfriede Fischinger lange Zeit nicht mehr als ein Rohschnitt entstanden? „1993 wurde ich in Mainz zum Professor berufen, also habe ich mich erst einmal darum gekümmert“, erzählt Pulch bei der DOK Premiere vom Haus des Dokumentarfilms. „Einige Jahre später wollte ich den Film fertigschneiden, aber dann wurde mir die Leitung des Instituts für Mediengestaltung übergeben. Wieder hatte ich sehr viel Arbeit und Oskar Fischinger ist langsam auf meiner To-Do-Liste runtergewandert.“

Ko-Regisseur Ralf Ott erläutert die Herausforderungen in der Postproduktion (Foto: Günther Ahner/HDF)
Im Publikumsgespräch erklärt Harald Pulch, warum 30 Jahre bis zum fertigen Film vergangen sind (Foto: Günther Ahner/HDF)
Im Filmgespräch steht Harald Pulch (l.) dem Publikum Rede und Antwort (Foto: Günther Ahner/HDF)

2009 reißt den umtriebigen Hessen ein Schlaganfall aus Beruf und Alltag. „Man muss sich vorstellen: Man ist Full Speed unterwegs – und plötzlich ist da nichts mehr. Ich habe vier Jahre gebraucht, um wieder einigermaßen sprechen zu lernen. Die Professur habe ich aufgegeben.“ Zur Aphasie, von der er betroffen ist, realisiert Pulch nach seiner Emeritierung gemeinsam mit Claudia Neubert den Low-Budget-Dokumentarfilm „Wir machen unser Ding…“. Da kaum Geld vorhanden ist, bittet er dafür Alumni um tatkräftige ehrenamtliche Unterstützung. „Es haben sich 15 Leute gemeldet, einer davon mein ehemaliger Student Ralf Ott.“

Analoge Zeitreise vs. heutige Sehgewohnheiten

„Ich habe gefragt, was eigentlich aus dem Film mit Elfriede Fischinger geworden ist. Harald ist zusammengezuckt und hat zugegeben: ‚Der liegt noch immer im Schnitt in Wiesbaden.‘ Ich bin fast zusammengebrochen, als ich das gehört habe“, greift Ko-Regisseur und Produzent Ralf Ott (ACHT Frankfurt) den Faden auf. „Wir haben uns entschieden, gemeinsam den Rohschnitt auszuarbeiten, zu erweitern und mit Filmsequenzen von Oskar Fischinger zu versehen.“ Eine zeit- und kostenintensive Angelegenheit. Das Medium Film ist einem stetigen technischen Wandlungsprozess unterworfen. Lange war ein Seitenverhältnis von 4:3 üblich; das in den frühen 90ern gedrehte Material sowie Fischingers Originale lagen entsprechend nur in heute überholten analogen Dateiformaten (PAL, Betacam SP) vor.

Die Sache mit dem analogen Material im 4:3 Format (Foto: Günther Ahner/HDF)
Die Sache mit dem analogen Material im 4:3 Format ... anschaulich visualisiert von Ralf Ott (Foto: Günther Ahner/HDF)
Harald Pulch erklärt, wie er gemeinsam mit Ralf Ott eine audiovisuelle Klammer geschaffen hat (Foto: Günther Ahner/HDF)

„Grundsätzlich war uns klar, dass das in dem seitlich beschnittenen Format bestehen bleiben muss. Modernen Sehgewohnheiten entspricht aber das 16:9 Verhältnis“, beschreibt Ott das Dilemma. In Anlehnung an Oskar Fischingers Werk entscheiden sich die Filmemacher für einen Mittelweg, der auf der Kinoleinwand gut funktioniert. Sie klammern die analoge Zeitreise audiovisuell und heben sie so auf eine „16:9 Bühne“. Es gibt verbindende Kapitel, zusätzliche Musik und animierte grafische Elemente (Musik: Parviz Mir-Ali; Motion Design: Ralf Ott; Digital Compositing/Restaurierung, Farbkorrektur, Mastering: Axel Klostermann). Teils kommen bei der Motion-Interpolation und Skalierung KI-Tools der Software DaVinci Resolve zum Einsatz. Diese errechnen Zwischenbilder, um die Bildfrequenz nachträglich zu erhöhen und Bewegungen natürlicher und flüssiger erscheinen zu lassen.

„Dass wir das Material, das auf einer Festplatte in Wiesbaden geschlummert hat, wieder rausgeholt und neu zum Leben erweckt haben, hat sich in meinen Augen sehr gelohnt“, freut sich Ralf Ott. Auch das Publikum im Arthaus Kino Delphi in Stuttgart und Caligari Kino Ludwigsburg zeigt sich sichtlich angetan von OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN.

GEHEN SIE INS KINO – ES LOHNT SICH!

Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Stuttgart und Ludwigsburg aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).

OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN von Harald Pulch und Ralf Ott gastierte im Rahmen der Premierentour am 17. Oktober 2023 im Delphi Arthaus Kino Stuttgart und 18. Oktober 2023 im Caligari Kino Ludwigsburg. Eine Veranstaltung vom Haus des Dokumentarfilms · Europäisches Medienforum Stutgart e. V. in Kooperation mit Arthaus Filmtheater Stuttgart, Kinokult Programmkinos Ludwigsburg und JIP Film und Verleih.  

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Picture of Elisa Reznicek
Elisa Reznicek leitet die Online-Redaktion beim Haus des Dokumentarfilms und ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Hauses zuständig.
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