Horst Stern @ Wikipedia, CC BY-SA 4.0

Horst Stern: Ein Meister des Wortes ist gegangen

Der Umweltschützer und Fernsehjournalist Horst Stern ist tot. Bekannt wurde Stern mit »Sterns Stunde«, produziert vom damaligen Süddeutschen Rundfunk (SDR). Stern starb nach Angaben seines Sohnes am vergangenen Donnerstag nahe Passau im Alter von 96 Jahren. »Mit Horst Stern haben wir einen der bedeutendsten Dokumentarfilmer des Landes verloren”«, würdigte SWR-Intendant Peter Boudgoust das Schaffen des Journalisten, Autors und Filmemachers. Wir veröffentlichen aus diesem Anlass eine »Hommage an Horst Stern« von Irene Klünder, Geschäftsführerin des Hauses des Dokumentarfilms. Der Text erschien ursprünglich im Buch »Aus kurzer Distanz. Die Macht der Bilder, die Macht der Worte«; veröffentlicht 2016 zum 25jährigen Bestehen des Hauses des Dokumentarfilms.

Horst Stern @ Wikipedia, CC BY-SA 4.0

Horst Stern @ Wikipedia, CC BY-SA 4.0

DIE MACHT DES WORTES
Eine Hommage an Horst Stern

Es war Heiligabend 1971 als die ARD um 20.15 Uhr in die westdeutschen Wohnstuben Sterns Stunde »Bemerkungen über den Rothirsch« ausstrahlt. Leise rieselt der Schnee, eine Sechzehnender tritt aus dem Wald und dann beginnt Stern zu sprechen: »30 Prozent Bodenfläche der Bundesrepublik sind bewaldet. Wald, der mit den Wurzeln den Humusboden festhält und mit den Kronen den zerstörerischen Anprall des Regens mildert, garantiert die Gesundheit der Landschaft. Sie ist längst dahin. Der deutsche Wald ist krank auf den Tod. Die Postkartenschönheit dieser Bilder täuscht. Ein Renditedenken, das selbst das Schicksal der Nation am Börsenzettel abliest, hat aus dem Wald eine baumartenarme, naturwidrige Holzfabrik gemacht.« Sterns unbarmherzige Botschaft: Zu viele Hirsche leben in deutschen Wäldern, gezüchtet für die Trophäenjagd. Schuld daran: Die Gier gutbetuchter und einflußreicher Jäger nach den vermeintlich prestigeträchtigen Geweihen. Stern endet in seinem 45 Minuten-Film – typisch für ihn – mit den Sätzen »Ich meine, dieses ernste Thema war eine knappe Stunde Ihrer stillsten Nacht des Jahres wert. Man rettet den deutschen Wald ja nicht, indem man ,O Tannenbaum’ singt.«

Noch in der Nacht schlägt eine Welle der Empörung über Stern und dem Süddeutschen Rundfunk zusammen: »Nehmen Sie dieses besoffene Schwein aus dem Programm«. Es gibt Morddrohungen. Gegen Sterns Widerstand hatte der damalige SDR-Fernsehdirektor Horst Jaedicke den »Rothirsch« ins ARD-Festprogramm genommen und knapp gemeint: »Wenn jemand an Heilig Abend das Fernsehen überhaupt braucht, um sich in weihnachtliche Stimmung zu versetzen, dann soll er das ZDF anschalten, da singen die Regensburger Domspatzen«. In einer Umfrage erhält der Film auf der Skala von minus zehn bis plus zehn die Note »+ 6«.Eine Spitzennote. Horst Stern beginnt damit zur TV-Legende zu werden. Überraschend, denn Stern ist fern jeder Verbindlichkeit oder gar Nettigkeit. Er entlarvt die deutsche Bambi-Mentalität, prangert die Überpopulation an Hirschen für betuchte Waidmänner an und gibt ihnen Mitschuld an der Zerstörung des Waldes. Der Blut- und Geldadel ist erbost. Nur: Stern hat recht. Der damalige SDR-Intendant Hans Bausch stellt sich vor seinen freien Autor. Drei deutsche Universitäten springen ihm zur Seite. Es kommt zu einer parlamentarischen Anfrage. Als Folge von »Bemerkungen über den Rothirsch« werden die Jagdgesetze novelliert. Acht weitere Jahre »Sterns Stunde» folgen. In den insgesamt 26 Sendungen entlarvt Stern dabei das verkitschte Verhältnis der Deutschen zu den Tieren.

Es ist Sterns Sprache und die glaubwürdige Ausstrahlung seiner Person, die die Zuschauer fesseln, obwohl seine Tiersendungen zugleich verstören. Stern bewertet Tiere nicht nach menschlichem Renditedenken oder nach ihren Kuschelqualitäten, sondern sieht sie konsequent als Teil der Natur. Seine Botschaften sind für jeden Politiker, Unternehmer und Konsumenten gleichermaßen unbequem: Ein Huhn ist ein Lauftier und gehört nicht in einen engen Käfig, das Schwein nicht auf Gitterroste, ein Pferd nicht über Dreifach-Kombinationen gehetzt. Sein Filmkonzept bricht radikal mit den bislang gängigen Tierfilmen. Ihn interessieren nicht exotische Tiere und ferne Länder, sondern die vertraute nähere Umwelt und der Umgang mit den Tieren. Sein Motto: mehr Wissenschaft, weniger Unterhaltung. Immer dominiert dabei seine ungeheuer klare und radikale Sprache. Es gibt nur eine Ausnahme. In dem Zweiteiler über »Die Spinne« dominiert das Bild. Hier schafft der Kameramann Kurt Hirschel Nahaufnahmen, die bislang im Deutschen Fernsehen so nie zu sehen waren.

Sterns letzte Fernsehsendung im Süddeutschen Rundfunk läuft 1979 – »Die Stellvertreter – Tiere in der Pharmaforschung«. In dem Dreiteiler über Tierversuche stellt er dem Leiden der Kreatur den Nutzen der pharmazeutischen Forschung gegenüber. Für seine Fans ist er ein Verräter. Sie greifen ihn auf´s Erbittertste an. Stern wendet sich vom Fernsehen ab. Desillusioniert meinte er: »Es stimmt ja einfach nicht, daß Bilder immer die Wahrheit widerspiegeln, das tun sie mitnichten. Viele Bilder bedürfen eines relativierenden Kommentars. Der ist aber völlig in den Wind gesprochen, wenn die Bilder so stark sind, daß sie die Gefühle der Zuschauer total überschwemmen und das Ohr ausblenden, den ganzen Verstand ausblenden. Das ist die Gefahr, die in diesem Medium steckt, das heißt, wenn man ihm starke Bilder gibt, dann kannste das vergessen, was Du dazu zu sagen hast, das kommt nicht an«.

Mit »Die Stellvertreter – Tiere in der Pharmaforschung« war Stern im Fernsehen für ihn spürbar an die Grenzen seiner Wortgewalt gelangt. 1980 gründet er deshalb die Zeitschrift »Natur« und streitet die folgenden Jahrzehnte gegen Wald- und Artensterben, gegen Massentierhaltung und Gentechnik. Das monatlich erscheinende Magazin findet große Beachtung und erreicht eine Auflage von über 150.000 Stück. »Natur« politisiert in erster Linie ökologische Themen. Viele Abonnenten vermissen jedoch herzige Tiergeschichten. Nach vier Jahren bröckelt die Auflage. Auch die Anzeigensituation ist nicht rosig. Der schweizerische Ringier-Verlag wird nervös, Stern muß gehen. In einer tiefen Lebenskrise zieht er sich in das Haus eines Freundes zurück. Dort schreibt er »Mann aus Apulien«, eine fiktive Autobiographie des Stauferkaisers Friedrich II. Die Kritik feiert ihn, sein Roman wird in sechs Sprachen übersetzt und über 200.000 Mal verkauft. Danach folgt „Die Jagdnovelle“ und „Klint“. Aus dem erfolgreichen Journalisten wird ein erfolgreicher Autor von Prosa.

Seit Anfang diesen Jahrtausends hatte sich Stern radikal der Öffentlichkeit entzogen. Die Zeiten als Medienstar sind schon lange vorbei. Mit seinen Sendungen aber hat er eine ganze Generation geprägt. Dabei war es ihm nicht im mindesten in die Wiege gelegt. In Stettin am 24. Oktober 1922 geboren, vaterlos in Berlin und Gollnow aufgewachsen, beendet Stern die Schule mit der Mittleren Reife. Sein Schulstipendium war ihm gestrichen worden. Bankkaufmannslehre, Arbeitsdienst, Wehrmacht, Fallschirmjäger. Stern kommt in amerikanische Kriegsgefangenschaft, nach Kentucky. Dort studiert er angelsächsisches Recht und Literatur: Zurück aus der Kriegsgefangenschaft landet er in Ludwigsburg als Dolmetscher an einem Militärgericht. Den Beginn seines Journalistendaseins verdankt er einer Amokfahrt: »Und dann passierte in Ludwigsburg, da fuhr ein Amerikaner im offenen Jeep mit einem Karabiner unter dem Arm und schoß also blindlings um sich und da gab´s drei Tote, drei Deutsche. Und es kam dann irgendwann in Ludwigsburg zu einem Kriegsgerichtsprozeß und die Stuttgarter Nachrichten, die mich durch meine vorherige Tätigkeit als Informant kannten, die baten mich, ob ich für sie denn nicht diesen ganzen Prozeß als Berichterstatter machen wollte.« Ein Journalistenkollege von Stern, Wolfgang Bechtle, wird zu dieser Zeit sein Freund. Gemeinsam beobachten der spätere Kosmos-Herausgeber Bechtle und Stern alles, was kreucht und fleucht, tauschen Erfahrungen aus, ziehen junge oder kranke Marder, Füchse, Eulen und andere Wirbeltiere auf: 1955 geht Stern weg von der Zeitung, schreibt zusammen mit Bechtle das Buch »Lauter Viehereien», ist Chefredakteur und Herausgeber des Reisemagazins »Unterwegs», später auch Chefredakteur der VW-Zeitschrift Gute Fahrt und der Segelzeitschrift »Die Yacht».

Irgendwie – Stern weiß nicht mehr auf welche Weise – kommt er zum Süddeutschen Rundfunk. Zig Hörfunksendungen über Tiere folgen. Kaum ein Tier unserer einheimischen Fauna blieb von Sterns Beobachtungen verschont. Oft quartiert er sie bei sich daheim ein. Er schreibt die bis heute gültige Reitlehre „So verdient man sich die Sporen“. Dann beginnt seine Fernsehkarriere: „Den Horst Jaedicke, der damals Fernsehdirektor war, den kannte ich schon von damals, als ich Gerichtsberichte schrieb und er war Spiegelkorrespondent. Er bat mich also zu sich und erklärte mir, daß er mit mir vorhabe, eine 13-teilige Sendung zu machen und zwar sofort. Hans Hass hatte ihn im Stich gelassen, da war irgendetwas geplatzt, und er meinte, ich könnte das machen. Und ich sagte zu ihm: Spinnst Du, ich habe keine Ahnung von diesem Metier, so geht das nicht. Aber er bat mich immer wieder“. So beginnen Sterns Stunden am 30.1.1970 mit „Bemerkungen über das Pferd“:

Nach seinem Fernsehausstieg neun Jahre später kehrt Stern 1997 noch ein einziges Mal mit einer eigenen Sendung auf den Bildschirm zurück. Zusammen mit Kurt Hirschel, dem Kameramann des Spinnen-Zweiteilers, macht er einen halbstündigen Fernsehbeitrag: „Sterns Bemerkungen über einen sterbenden Wald“, 1997 auf SAT1. Doch in der veränderten Fernsehlandschaft bekommt er keine Aufmerksamkeit mehr. Stern zieht sich nach Irland zurück und lebt in großer Einsamkeit. Er war geflohen vor seiner Popularität; vor den Ansprüchen an ihn, sich einzumischen; vor der Neugierde von Touristen und von Kollegen. Die Flucht ist dann doch wohl zu weit, die Gegend zu menschenleer. Seit etwa fünfzehn Jahren wohnt er mitten im Zentrum einer niederbayrischen Stadt, nahe der Kirche, deren Geläut ihn nicht stört, in Passau. Es ist still um ihn geworden. Doch seine Botschaft von damals hat heute nicht weniger Gültigkeit als damals: »Der Mensch lebt mit der Natur und der Mensch stirbt mit ihr.«

(Irene Klünder)

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