Grafik zur Meisterklasse mit Andres Veiel

Meisterklasse: Wie Andres Veiel mit seinen Themen arbeitet

Sieben Stunden mit einem der wichtigsten deutschen Dokumentarfilmer. Diese Chance haben mehr als 30 Interessierte genutzt und sich zur »Meisterklasse Andres Veiel« im Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms getroffen. Der Tag bot ein intensives Gespräch zwischen dem Filmemacher, der Kuratorin Astrid Beyer und dem Publikum. Filmemacher Veiel zeigte unter anderem ein alternatives Ende für seinen letzten großen Dokumentarfilm »Beuys«. Immer wieder drehte sich das Thema um die Authentizität des dokumentarischen Films.

Bei Dokville 2017 hatte er schon ausführlich über die Arbeit an seinem Dokumentarfilm »Beuys« berichtet. Jetzt nahm er sich richtig Zeit, um von den jahrelangen Arbeiten, Vorbereitungen und Entscheidungen zu berichten. Und nicht nur das: Filmemacher Andres Veiel (auf dem Foto mit Irene Klünder, l., und Astrid Beyer, r., beide HDF) war zu Gast im Haus des Dokumentarfilms und unterhielt sich mit rund 30 interessierten Kolleginnen und Kollegen und Studierenden über »Strategien dokumentarischen Erzählens«.

»Beuys« – oder: Das lange Werden eines Filmes 

Im ersten Teil des Programms berichtete er unter anderem, wie schwierig und langwierig es war, sich dem Menschen und Künstler Joseph Beuys nähern zu können. Dazu Andres Veiel: »Beuys ist bis zum Schluss der Hase geblieben, der Haken schlägt und weg ist. Auch im Sinne des Humors und der Schlagfertigkeit.«. Wieso hat die Produktionszeit des Filmes, der mittlerweile in zwei Kategorien beim Deutschen Filmpreis geehrt wurde, so lange gedauert? Andres Veiel taucht tief ein in die Produktionsgeschichte:  Der Rohschnitt hat sehr emotional funktioniert. Nach vier bis fünf Monaten war die erste Fassung fertig. Bei der Vorführung, erinnert sich Andres Veiel, saß Produzent Thomas Kufus (zero one film) saß neben ihm und war bewegt. »Er drückte mir noch im Dunkeln die Hand und hatte Tränen in den Augen.« Dennoch lag noch eine lange Zeit vor ihnen. Die Schnittzeit war nicht, wie geplant, acht Monate lang, sondern am Ende 18 Monate. Sie merkten in der Phase, dass der Film so noch nicht funktionierte.

Ein ganz besonderer Moment in diesem Themenblock der Meisterklasse ist es, als Andres Veiel von seinem persönlichen Notebook einen alternativen Schluss von »Beuys« einspielt und ihn mit dem Ende vergleicht, so wie es nun im Film steht. In der ersten Version beschäftigte sich der Film mit dem Tod des Künstlers. In der finalen Version geht es darum, was von ihm bleibt. Die Kamera zeigt das letzte Großprojekt von Beuys, das berühmte »7000 Eichen«-Pflanzen, das erst von Beuys’ Sohn 1987 beendet wurde. »Es ging darum zu zeigen, was von ihm blieb«, sagt Andres Veiel heute und fügt hinzu: »Leider haben wir sieben Monate gebraucht, um den besseren Schluss zu finden.« Dabei betont Veiel, das beide Filmenden authentisch gewesen wären, aber die Akzente waren andere. Das habe etwas mit Intention des Filmemachens zu tun, nicht mit richtig oder falsch.  Eine Zuhörerin schildert spontan ihre Empfindungen: »Der erste Schluss hat mich runtergezogen, der andere hat mich inspiert.«

»Die Spielwütigen« – oder: Realisierung einer Langzeitdokumentation

Der Nachmittagsblock beginnt mit einem frühen Dokumentarfilm von Andres Veiel: »Die Spielwütigen«. Der Filmemacher begleitete von der Aufnahmeprüfung an für viele Monate Kandidatinnen und Kandidaten und später Studierende an der Schauspielschule Ernst Busch. Zunächst einmal zeigt der Filmemacher eine 18 Minuten lange Einstiegssequenz aus der Produktion von 1997. Sie endet mit der Aufnahme an die Schule – mit Euphorie und Freude.

Ursrpünglich hatte Veiel beim ZDF eine Förderung von sechs Jahren beantragt, weil er eine Langzeitdokumentation machen wollte. Der Sender habe damals dazu gesagt: »Wir wissen gar nicht, ob es uns solange noch gibt.« Er müsse also zum Start hinweg einfach erst mit drei Jahren kalkulieren und dann schauen, wie es weitergehen könne. Daraufhin widmet sich Andres Veiel in der Meisterklasse ausführlich der Finanzierung von Langzeitdokumentationen, die nach Meinung vieler Freunde des Genres die »Königsklasse« der Dokus sind. Teure Könige.

Seine Langzeitbeobachtung begann schon vor der Aufnahmeprüfung. Er hatte mit 20 Kandidatinnen und Kandidaten vereinbart, dass er jeden von Ihnen bei einer Probe zu Hause filmen würde. Das sei die Grundvoraussetzung gewesen, auch wenn es, sagt Veiel heute, ein inszenatorischer Eingriff gewesen sei. Für die Protganistinnen und Protagonisten war das anscheinend eine hohe Hürde, denn viele hätten gesagt, dass sie allen vorspielen würden, aber nicht den Eltern.

Zu den Dreharbeiten bei der Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule sagt Andres Veiel: »Ich habe zu der Zeit auch meinen Film ‘Black Box BRD’ vorbereitet und traf an der Schauspielschule auf unglaubliche Widerstände. Es war fast leichter, im Hochsicherheitstrakt zu drehen als in der Prüfungssituation.« Er spitzt das nach langen Erzählungen über Konflikte mit den jungen Schauspielerinnen und Schauspielern und den Dozenten sogar noch zu: »Ich war manchmal froh, im RAF-Knast drehen zu dürfen und nicht im Ernst Busch.« Die Dozentinnen und Dozenten hatten für die Aufnahmen von ihnen übrigens ein Vetorecht.

Letztlich wäre das Projekt beinahe gescheitert – an den Finanzen. Das ZDF wollte das Projekt beenden und nicht mehr finanzieren, aber Andres Veiel gelang es eine andere Redaktion des Senders für das Projekt zu begeistern. Auch die Filmförderung war nicht mehr gesichert und wollte absagen. Aber auch hier hatte Veiel einen Trick auf Lager: Er organisierte eine Presseveranstaltung in Stuttgart und zeigte Ausschnitte aus dem bisher gedrehten Material. Das erzeugte so viel Druck, dass die Filmförderung noch am Tag der Pressekonferenz die Förderung zusagte. Letztlich gewann der Film den Baden-Württembergischen Dokumentarfilmpreis, der später in den Deutschen Dokumentarfilmpreis umbenannt wurde.

Ob Veiel nicht Lust hätte, in einem neuen Film nachzuschauen, was aus den Protagonisten geworden ist, will Astrid Beyer wissen, die die Meisterklasse im Haus des Dokumentarfilms kuratiert. »Es wäre interessant, aber mir fehlt der Moment. Vielleicht kommt der noch«, antwortet Andres Veiel.

»Der Kick« – oder: Statt eines Theaterstückes wurde es ein Film

Für seinen sehr theatralisch inszenierten Film »Der Kick« begab sich Andres Veiel 2006 auf die »Spurensuche eines Mordes«. Die dokumentarische Quelle des Themas war die brutale Ermordung eines damals 16 Jahre alten jungen Mannes in Potzlow, einem kleinen Ort 60 Kilometer entfernt von Berlin. Andres Veiel erinnert sich an einen sehr langen Weg mit vielen Schleifen, bis er das Projekt überhaupt beginnen konnte. Geplant war ursprünglich ein Theaterstück, erst später kam es zu dem Umweg Film. Als der Film später fertig war (»Der am wenigsten erfolgreiche Film von mir«), konnte Andres Veiel das Thema noch immer nicht loslassen. Er schrieb noch ein Buch – erst dann, konnte er die rechtsradikale Bluttat in Potzlow hinter sich lassen.

Der FIlmemacher schildert spannend, wie er überhaupt Zugang zu einem der Haupttäter bekam. Einen Zugang, den er eigentlich gar nicht wollte. »Ich wollte ihm nicht die Hand geben«, sagt Veiel dazu. Der Kontakt von Veiel und der Dramaturgin Gesine Schmidt erfolgte zwei Jahre nach der Tat. Die Frage von Gespröchspartnerin Astrid Beyer folgt umgehend: Warum wollte er überhaupt das Thema aufgreifen? Der erste Grund, so Veiel, sei gewesen, dass er die Landschaft kannte und für sich klären musste, ob er noch einmal in diese Gegend gehen könnte, wo der brutale Mord geschehen war.

Eindrücklich sind auch Veiels Aussagen zur Frage, wie authentisch der Film noch sein kann, der Protokolle und Aussagen von zwei Schauspielern für die Kamera inszeniert. Der Text sei nur verdicht worden, habe aber so eine Präsenz bekommen, meint Veiel, dass manche Zuschauer die gespielten Protagonisten wiedererkannt hätten, obwohl die nicht zu sehen seien. Die physische Präsenz der Texte – in dem Fall von den Schauspielern dargestellt – habe eine authentische Qualität erlangt.

Der Film lebt von der »feinstofflichen Präsenz der Schauspieler« (so Veiel), er wurde dennoch im Schnitt noch einmal überarbeitet. Veiel legte großen Wert darauf, dass die Texte nicht theatralisch gespielt wurden, sondern eine dokumentarischen Authentizität haben.

»Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!«

Zum Abschluss wird sein vor wenigen Wochen am Deutschen Theater Berlin gestartetes Theaterstück »Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!« besprochen. Ausgangspunkt war ein Labor genanntes Vorprojekt, bei dem unter Anleitungen von Wissenschaftler die Teilnehmer eines Workhops über die Zukunft der Welt nachdachten. Daran schloss sich ein Symposium an, das ebenfalls wieder Forscher und Laien an einen Tisch brachte. Und aus diesem Material machte Andres Veiel fürs Deutsche Theater sein Theaterstück.

Die Zukunft des dokumentarischen Films

Andres Veiel beendet seine Meisterklasse in Stuttgart mit einem leidenschaftlichen »Plädoyer für den dokumentarischen Blick«. Nur, wenn die Produktionsbedingungen den Luxus des Filmemachens ermöglichen, könnten Filme entstehen. Ob das heute noch möglich wäre wie einst bei den »Spielwütigen« stellt er in Frage. »30 Schnitttage und ein Kinodokumentarfilm schließen sich einfach aus«, sagt er durchaus mahnend. Veiels Filme wie zuletzt eben »Beuys«, der in wenigen Jahren vielleicht als Meilenstein des dokumentarischen Genres wahrgenommen werden wird, zeigen, dass Selbstausbeutung keine Kunst erzeugt. Und das Kunst entstehen kann, wo die Bedingungen für Dokumentarfilmer anders sind, als sie heute oft sind. Das aber heißt mit Blick auf die Budgetverantwortlichen: die Budgets müssen steigen und nicht auf dem bisherigen Stand immer weiter filetiert werden.

Wir werden die Veranstaltung dokumentieren und zu einem späteren Zeitpunkt als Videomitschnitte präsentieren.

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Picture of Thomas Schneider
„Ich liebe Print, ich liebe Online, ich liebe es, das Beste zwischen beiden Welten zu vereinen“, sagte Thomas Schneider über seine Arbeit. Ab 2009 war er für das HDF im Bereich Redaktion sowie PR/Marketing tätig. 2019 verstarb Schneider überraschend und viel zu früh.
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