Felix Moeller stellt bei »moving history« sein neues Projekt vor © Aleksandra Miljkovi

moving history: Geschichte durch Filme lebendig machen

Ende September fand im Filmmuseum Potsdam zum ersten Mal »moving history« statt, ein »Festival des historischen Films«. Eigentlich war es überraschend, dass es in Deutschland das erste Festival ist, das sich mit dem spannenden Verhältnis von Geschichte in den Medien beschäftigt. Denn in den zwei Dekaden haben sich diese Programme fest etabliert in Kino und Fernsehen und sind oft sogar erfolgreich beim Publikum. Es wurde darüber spekuliert, dass gerade nach der Wiedervereinigung ein Bedürfnis danach vorhanden war, sich über die eigene Geschichte und Identität klar zu werden. Medien können dabei eine Rolle spielen.

Die Veranstalter hatten sich für die Premiere dem Thema »Kein Stille nach dem Schuss. 1967, der Deutsche Herbst und die RAF« gewählt und trafen damit einen aktuellen Nerv. Gezeigt wurden nicht nur Spiel- und Dokumentarfilme; es gab auch Werkstattgespräche über zwei Projekte, die sich gerade in der Postproduktion befinden. Felix Moeller, der sich bisher hauptsächlich mit dem ‚Dritten Reich‘ beschäftigt hat, erläuterte das Konzept von »Sympathisanten – Unser Deutscher Herbst«. Im Mittelpunkt stehen Prominente wie Heinrich Böll, seine Mutter Margarete von Trotta oder sein Stiefvater Volker Schlöndorff. Sie alle wurden als Sympathisanten der Terroristen gebrandmarkt und Moeller wird in seinem Film zwischen Zeitgeschichte und Familienfilm vor allem versuchen, die damalige, äußerst polarisierte Atmosphäre der bundesdeutschen Gesellschaft deutlich zu machen. Dies wurde in den Diskussionen mit Zeitzeugen und Akteuren deutlich. Der Deutsche Herbst scheint an keinem spurlos vorbei gegangen zu sein, der ihn bewusst erlebt hat. Gerd Kroske arbeitet an einem Film über das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg, die versuchten, andere Formen der psychischen Therapie und des Zusammenlebens zu praktizieren. Einige unterstützten die RAF bzw. schlossen sich ihr an und ihnen wurde der Prozess gemacht.

Teilnehmer der Masterclass Margarete von Trotta ©Aleksandra Miljkovic

Teilnehmer der Masterclass Margarete von Trotta © Aleksandra Miljkovic

Margarete von Trotta – die auch die Schirmherrschaft des Festival übernommen hatte – gab eine sehr gut besucht Masterklasse in der Filmuniversität Babelsberg über ihre Spielfilme zu historisch starken Frauen wie Hildegard von Bingen, Rosa Luxemburg, Gudrun Ensslin oder Hannah Arendt, die jeweils von Barbara Sukova verkörpert wurden. Trotta sieht ihre Filme als Annäherung an Geschichte, die sich oft auf Briefe oder Tagebucheinträge beziehen, um den historischen Figuren persönlich nahe zu kommen.

Das Zentrum für zeithistorische Forschung organisierte ein wissenschaftliches Symposium zu »Re-Framing RAF – Terrorismus in der audiovisuellen Erinnerungskultur«. Der international bekannte Filmhistoriker Thomas Elsaesser schlug in seiner Keynote einen großen Bogen und arbeitete sehr präzise die Bedeutung der RAF für die bundesdeutsche Gesellschaft heraus. Beim Festival wurde erstmals die Clio verliehen als Preis für den Besten Film zu einem historischen Thema. Aus den sechs Nominierten wählte die Jury »Die Blumen von Gestern« von Chris Kraus. Es ist ein Film über zwei Holocaust-Forscher, der mit Mut und Witz von ihrer schwierigen Beziehung erzählt.

»moving history« zeichnete sich durch eine sehr geschickte Programmierung der Festivalleiterin Ilka Brombach und ihrem Team aus, bei denen sich die einzelnen Filme gut aufeinander bezogen, ob nun historische Produktionen oder aktuellere Verarbeitungen. Fast alle Filme wurden von Gästen und kurzen Gesprächen über die Produktionen begleitet. Den Auftakt bildete Hans Dieter Grabe mit seiner Dokumentation „Fritz Teufel oder warum haben Sie nicht geschossen?“ (1982). Ihm war in dem Interview wichtig zu zeigen, dass Teufel nicht der Terrorist war, zu dem er damals von den Medien aufgebaut wurde. Über den Film wurde im ZDF heftig diskutiert und er letztlich aber doch ausgestrahlt. Ein intensives, sehr persönliches Porträt ist „Star Buch Holger Meins“ (2001) von Gerd Conradt, die zusammen an der DFFB in Berlin studiert hatten und sich gut kannten. So kommt man Meins nahe und lernt seine Persönlichkeit kennen, bevor er sich der RAF anschließt, verhaftet wird und nach einem Hungerstreik stirbt.

Besonders interessant waren zeitgenössische Filme aus den 1960er und 1970er Jahren, die sehr direkt einen Eindruck gaben von den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen und den Umbrüchen, die sich massiv ankündigten. Der SDR-Klassiker »Der Polizeistaatsbesuch« (1967) von Roman Brodmann begleitet den Staatsbesuch des Schahs und spürt sehr genau die Zuspitzung der Proteste. Von einem ironischen Blick auf den Aufwand wird der Film sehr politisch und ein wichtiges Dokument dieser Ereignisse. »Ruhestörung« (1967) von Günther Hörmann und Hans Dieter Müller dokumentiert die Reaktion der Studierenden auf dies harte Vorgehen der Polizei und den Tod von Benno Ohnesorg in den Tagen darauf. In »Tätowierung« (1967) von Johannes Schaaf spielt Christof Wackernagel einen Heimjungen, der gegen die bürgerliche Fassade seiner Pflegeeltern opponiert und sich keinesfalls unterordnen will. »Brandstifter« (1969) von Klaus Lemke ist eine fiktionale Auseinandersetzung für den WDR, in der Margarete von Trotta eine junge Frau spielt, die einen Brandsatz im Kaufhaus deponiert. »Die wilden Tiere« (1970) von Karin Seybold und Gerd Conradt dokumentiert fragmentarisch ein sogenanntes Knastcamp gegen den Jugendstrafvollzug im tiefsten Franken. Deutlich wird auch hier die Konfrontation der Polizei und konservativen Bevölkerung gegen die revoltierende Jugend.

Es gab verschiedene Versuche, sich mit den Opfern des Terrorismus auseinander zu setzen wie »Kennen Sie Georg Linke?« (1971) von Rolf Hädrich, der sich eher experimentell Georg Linke nähert, der bei der Baader-Befreiung 1970 lebensgefährlich verletzt wurde. Lutz Hachmeister lieferte mit »Schleyer – Eine deutsche Geschichte« (2003) ein vielschichtiges Porträt des damaligen Arbeitgeber Präsidenten Hanns-Martin Schleyer, der von der RAF entführt und erschossen wurde. In seinem Leben spiegelt sich exemplarisch eine deutsche Biografie mit Verstrickungen im NS-Staat, dem wirtschaftlichen Aufstieg nach 1945, seine Karriere als Industriemanager und das Drama seiner Entführung. Der deutsche Terrorismus ist gerade in den vergangenen Jahren immer wieder Thema in Spiel- und Dokumentarfilmen gewesen. Aktuelles Beispiel ist der Stuttgarter Tatort »Der rote Schatten« von Dominik Graf, der noch vor der Ausstrahlung im Ersten in Potsdam vor ausverkauftem Haus lief. Sehr geschickt wird darin ein aktueller Todesfall zurückverfolgt zu einem wichtigen V-Mann, der direkt in die Ereignisse in Stammheim involviert war und deshalb von den Geheimdiensten geschützt wird. Graf arbeitet mit historischen Material, das längst ikonografische Bedeutung für unsere Gesellschaft hat und wagt Re-Enactments, was damals in Stammheim passiert sein könnte.

Wie es mit dem Festival weitergehen wird, ob es nun ein jährlicher Event wird oder alle zwei Jahre stattfindet, muss sich noch klären. Eine Fortführung ist auf jeden Fall wichtig, denn »moving history« hat auf eine Lücke in der blühenden Festivallandschaft aufmerksam gemacht, die es beeindruckend ausgefüllt hat.

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Kay Hoffmann
Dr. Kay Hoffmann war langjähriger Studienleiter Wissenschaft im HDF und Gesamtkoordinator des DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005“. Zusätzlich ist er seit langem Kurator der DOK Premieren in Ludwigsburg.
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