Die toten Vögel sind Oben

Im Anzug durch den Wald: Wer war Jürgen Friedrich Mahrt?

Sönje Storm öffnet in ihrem Dokumentarfilm DIE TOTEN VÖGEL SIND OBEN den Nachlass Ihres Urgroßvaters. Wer war der exzentrische Bauer, der sein Leben der Dokumentation von Tieren und Landschaften widmete? Zum Kinostart am 31.08 spricht sie über ihren Film.

Ein eigenwilliger Geist

Jürgen Friedrich Mahrt (1882 – 1940) wird in Elsdorf einem kleinen Dorf in Schleswig- Holstein geboren. Seine Eltern sind Bauern. Er hingegen möchte nie einer sein. Viel lieber verbringt er seine Zeit in Wäldern und Mooren.

Sein Leben lang fotografiert, archiviert, zählt er Tierarten und Pflanzen. Die entstandene Sammlung umfasst u.a. 350 ausgestopfte Vögel, 3000 getrocknete Schmetterlinge sowie hunderte Fotografien von Raupen, Käfern, Pilzen und Landschaften. Mehrmals radelt Mahrt auf der Suche nach einem seltenen Schmetterling von Schleswig-Holstein bis in die Schweiz.

Die toten Vögel sind Oben

„Er hat einfach gemacht, was er will. Das fand ich jenseits des ganzen Naturthemas eine spannende Geschichte, dass sich jemand so aus dem herausschält, wofür er eigentlich gedacht war. Damals war es schwer einen eigenen Weg zu gehen. Wenn man so einen Hof erbt, dann muss man den übernehmen, schon allein um die Familie zu ernähren. Ein störrischer, interessanter Mann. Ich habe mich gleich am Anfang dafür interessiert, wenn er mit seinem Anzug im Wald herumsteht. Was ihm da wohl durch den Kopf gegangen ist?“

Zärtlicher Blick auf die Welt

Während der Recherche ist Sönje Storm vor allem von den Fotografien ihres Urgroßvaters angetan. Sie sind ein beeindruckendes Abbild des Biodiversitätswandels Schleswig-Holsteins und scheinen wie ein Vorbote des Klimawandels. Gleichzeitig zeugen sie von einer großen Zuneigung zum Bildmotiv. Im Film schaut man ihr bei der Erschließung des Bestands zu.

„Durch ein Foto spürt man ja im besten Fall dem Fotografen nach und seinem Blick auf die Welt. Ich fand die Art wie er diese Schmetterlinge fotografiert, wie er vor allem Natur fotografiert, einfach sehr schön. Teilweise sind die Bilder von Hand koloriert. Das hat etwas Zärtliches, etwas ganz Feines. (…) Und ich wollte auch den Prozess im Film haben, den ich für mich als so spannend erlebt habe. Nämlich die Fotos zu entdecken. Ich hatte Glasplattennegative und musste erst Mal Wege finden, wie ich überhaupt sichte.“

In der Zusammenarbeit mit Editorin Halina Daugird entsteht die Idee, den Fotografien durch das Sounddesign eine universelle Ebene zu geben.

„Mir war wichtig, dass man diese alten Motive, die dann oft so nostalgisch sind, dass man die in die Jetztzeit kriegt und auch dieses Zeitmotiv bricht. Weil ich das so empfunden habe, dass die Fotos ja auch sehr stark mit unserer Zeit verbunden sind (…) Dafür haben wir dann eine Form über die Sounds gefunden, die teilweise etwas Science-Fiction-mäßiges an sich haben.“

Filmstill Eier Die Toten Vögel sind Oben
Die toten Vögel sind Oben
Wissenschaftler begutachten den Nachlass
Die toten Vögel sind Oben
Mahrt brachte sich das Präparieren von Tieren selbst bei

Rechercheprozess als Teil der Erzählung

Neben Fotografien besteht der Nachlass Jürgen Mahrts vor allem aus den ausgestopften Tieren seines Naturkundemuseums und einem Tagebuch. Lediglich ein Zeitzeuge kommt zu Wort. Viel weiß er nicht über ihn zu sagen.

Eine der Stärken von Sönje Stroms Film ist, dass sie dieses Material mit großer Sachlichkeit präsentiert. Es kommt selten vor, dass man etwas wirklich Eindeutiges erfährt. Vielmehr lässt sie die Zuschauenden an ihrem Rechercheprozess teilhaben, teilt mit ihnen ihre Fragen und auch ihre Erkenntnislücken. An vielen Stellen lässt sie Wissenschaftler:innen zu Wort kommen.

„Ich präsentiere im Film den Nachlass und hoffe, dass sich jeder selbst einen Reim machen kann und eine Haltung dazu entwickelt. Was ich habe, ist dieses Intro, das er geschrieben hat für das Tagebuch. Da erzählt er eben, dass ihm aufgefallen ist, das bestimmte Vögel, die er noch kannte in der Jugend, dass die nicht mehr da sind (…) also ihm ist bewusst gewesen, dass die Arten verschwinden. (…) Wir haben dann auch irgendwann festgestellt, dass er in seiner Zeit Dinge macht, die er seinen Zeitgenossen zeigen wollte. Ich glaube, er hatte fast eine pädagogische Ader. Mit seinem Museum wollte er die Leute auf die Natur aufmerksam machen. Und gleichzeitig schafft er eine Sammlung, die für uns in der Zukunft wichtig ist.“

Filmstill Die toten Vögel sind Oben (Kampfläufer)
Kampfläufer

Die Generation der 1880er

Der Regisseurin geht es in ihrem Film nicht nur um Vorboten des Klimawandels, sondern auch um die Zeit zwischen zwei Weltkriegen. In welcher Atmosphäre hat man sich damals bewegt? Mit welchen Themen haben sich die Menschen auseinandergesetzt?

Mahrt erlebt den ersten Weltkrieg als Fotograf in der Luftaufklärung. Er bleibt von schlimmen Verletzungen verschont, aber hat dennoch sicher Schreckliches gesehen. 1940 stirbt er während des zweiten Weltkrieges unerwartet im Alter von 58 Jahren während einer Gallenoperation. Wie seine Haltung zum Nationalsozialismus war, kann nicht beantwortet werden. Fragen wirft eine Fotografie von Hitlers Regierungssitz, dem Berghof auf, die er auf einer Reise in die Schweiz erstellt.

„Ich kann keine definitive Aussage dazu machen, wie er dem Nationalsozialismus gegenüberstand. Ich kann aber für mich sagen, wenn ich ein Verdachtsmoment hätte oder die Information, dass er dem Nationalsozialismus positiv gegenübergestanden hat, dann hätte ich den Film so natürlich nicht machen können, dann hätte ich einen anderen Film gemacht, in dem ich das thematisiere. (…) Mich haben auch Leute gefragt, wieso hast du denn den Berghof reingenommen? Das macht doch vielleicht nur Probleme und dann dachte ich, aber es ist ja da und wenn ich dieses Bild unterschlage, dann habe ich ja für mich ein Problem.“

Ein Chronist seiner Zeit

 DIE TOTEN VÖGEL SIND OBEN ist ein wundervoll unaufgeregter Streifzug durch den Nachlass eines Naturkundlers, durch sein Museum und seinen besonderen Blick auf die Welt. Nicht umsonst gewann Sönje Strom 2022 die Goldene Taube in Leipzig. Zum Ende des Films zeigt die Regisseurin wie in einem Nachklapp auch Mahrts Fotografien von Menschen und gibt so vielleicht eine Antwort auf die Frage, wer ihr Urgroßvater war.

Filmstill Frau Die Toten Vögel sind Oben

„Ich habe auf jeden Fall irgendwann das Gefühl gehabt und deswegen sind die Fotos da am Ende auch platziert, dass er sich die Welt wie ein Chronist anschaut mit einem ganz schönen Blick. Irgendwie schaut er dann auch alles gleich an die Pilze wie die Menschen, wie die Schmetterlinge, wie die Bäume. Das wird dann alles ein Kosmos.“

Filmstill Pilze Die Toten Vögel sind Oben

DIE TOTEN VÖGEL SIND OBEN von Sönje Storm. Eine STORMFILM Produktion. Kamera: Alexander Geordghiu, Schnitt: Halina Daugird.
Verleih: Real Fiction.

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Picture of Christine Schäfer
Christine Schäfer arbeitet seit Mai 2023 im Haus des Dokumentarfilms. Sie verfasst Artikel für dokumentarfilm.info und unterstützt Veranstaltungen wie die DOK Premiere. Außerdem kuratiert sie Filmprogramme sowie Online-Gesprächsformate.
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