Kay Hoffmann und Cem Kaya DOK Premiere

So war die DOK Premiere von „Liebe, D-Mark und Tod“

„Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ erzählt mit Archivmaterial und Musik ein bedeutendes Stück türkisch-deutscher Geschichte. Bei der DOK Premiere vom Haus des Dokumentarfilms gewährte Filmemacher Cem Kaya Einblicke in seine Arbeit.

„Du kannst keinen Film wie diesen machen, indem du einfach die Künstlerinnen und Künstler vorstellst und sagst ‚Ach schau mal, diese nette Musik!‘. Das Ganze muss im gesellschaftlichen Kontext verortet werden“, erklärt Cem Kaya bei der DOK Premiere vom Haus des Dokumentarfilms.

Musik erzählt die Geschichte des migrantischen Lebens in Deutschland

Sein Film „Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ (Produktion: Filmfaust und Film Five mit WDR, rbb und Arte; Redaktion: Jutta Krug) folgt der Entwicklung der türkischen und teils auch kurdischen Musik- und Einwandererkultur in Deutschland über mehrere Generationen, beginnend Anfang der 1960er Jahre.

Cem Kaya zeigt dabei, zumindest indirekt, Parallelen zwischen den Menschen und ihrer Musik. Zu sehen ist die Verwurzelung in der Tradition, aber auch, wie sich der Stil über die Jahre wandelt, indem er externe Einflüsse aufnimmt und verarbeitet. Es entstehen hybride Klang- und Lebenswelten, die irgendwo zwischen der türkischen und deutschen Kultur angesiedelt sind.

„Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ ist bereits der dritte Film, in dem sich Kaya Fragen kultureller Identität und Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln nähert und zum Perspektivwechsel einlädt. „Ich weiß nicht, ob es eine Trilogie ist. Der Film passt einfach gut in meine gesamte Arbeit“, so der Regisseur. „Vorher habe ich mit Jochen Laube als Produzenten schon zwei andere Filme über türkische Popkultur realisiert. In ‚Remake Remix Rip-Off‘ (2014) ging es um das türkische Kino, in der Arabesk-Musik eine große Rolle spielt. Davor handelte ‚Arabesk – Gossensound und Massenpop‘ (2010) genau von dieser subkulturellen Bewegung, die eng mit der Binnenmigration in der Türkei vom Land in die Großstädte verbunden war. Der nächste Schritt war von Istanbul nach Deutschland zu kommen. Es war also nur konsequent, ‚Aşk, Mark ve Ölüm‘ zu machen.“

Kay Hoffmann und Cem Kaya Filmtalk DOK Premiere
Kay Hoffmann und Cem Kaya Filmtalk DOK Premiere
Kay Hoffmann, Kurator der DOK Premiere, und Filmemacher Cem Kaya beim Publikumsgespräch (Fotos: Elisa Reznicek/HDF)

„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen an.“ (Max Frisch)

1961 wird das sogenannte Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geschlossen, das eine staatlich regulierte Arbeitsmigration ermöglicht. Seit Unterzeichnung sind laut Auswärtigem Amt etwa 876.000 Menschen als sogenannte Gastarbeiter:innen aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Sie haben neben ihren Hoffnungen, Träumen und Ängsten auch eine reiche Kultur mit nach Deutschland gebracht. In ihren Liedern spiegeln sie die eigene Lebenssituation und schaffen zugleich Heimatanker in der Fremde, die den migrantischen Arbeitskräften und ihren Familien nicht selten gleichgültig bis ablehnend begegnet ist (und noch heute begegnet).

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Über die Jahre entwickelt sich innerhalb der türkischen Community eine sehr lebendige und facettenreiche Musik-Szene – von eher traditionell geprägten, folkloristischen Klängen über Rock, Pop und Crossover bis hin zu Hiphop und Rap.

Im Film erfährt man: Anders als heute, wo sich Künstler:innen mit türkischen Wurzeln wie Elif oder Apache 207 in den Playlists und Charts tummeln, läuft der Absatz von Millionen Tonträgern (mehrheitlich Kassetten) früher weit unter dem deutschen Radar. Türkische Musik findet nicht im Radio oder Fernsehen statt, da sie mit ihren charakteristischen Melodien und Harmonien als nicht massenkompatibel genug gilt. Die Migrant:innen, ihre Familien sowie „Pop-Stars und -Sternchen“ bleiben in einer Art „Parallelwelt“ unter sich, unter anderem im „Türkischen Basar“ im stillgelegten Berliner U-Bahnhof Bülowbogen. Dieser war, neben der Nutzung im Wortsinn (Einkaufsmöglichkeit mit vielen kleinen Läden), vor allem als Veranstaltungsort für Konzerte bekannt und macht Musiker wie Hatay Engin bekannt.

Archivmaterial in „Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“

Cem Kaya entscheidet sich dazu, ausdrucksstarkes Archivmaterial bewusst mit passender Musik und Interviewsequenzen in Verbindung zu setzen, um das Geschehen zu erzählen. Dieses Wechsel- und Zusammenspiel ermöglicht es den Zuschauer:innen der Geschichte des migrantischen Lebens nachzuspüren. Lebendig und farbenfroh wirkt der in drei Kapiteln dicht komponierte Film dadurch, ohne seine Tiefgründigkeit zu verlieren.

 

Zu sehen ist unter anderem der Ford-Streik 1973. Klänge des türkischen Rockmusikers Cem Karaca treffen auf Bilder der Arbeitsniederlegung überwiegend ausländischer Arbeitskräfte im Kölner Werk des Autoherstellers. Es war der erste größere Arbeitskampf in der Bundesrepublik Deutschland, der vor allem von Arbeitsmigrant:innen getragen wurde. „Auf einmal war da dieses Konzert von Cem Karaca, sogar genau das Lied, das ich benutzen wollte. In so einem Moment spricht das Archiv zu einem – ein Zauber, der sich im Schnitt so richtig gezeigt hat“, führt Cem Kaya aus.

Kay Hoffmann Filmtalk DOK Premiere
Filmemacher Cem Kaya (rechts) stand dem Publikum Rede und Antwort. Durch den Kino-Abend führte Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms. (Fotos: Elisa Reznicek/HDF)

Auch die Repräsentanz von Frauen in seinem Film ist Cem Kaya wichtig. „Ich habe unter anderem Bits benutzt, die gezeigt haben, wie viel Prozent Frauen eingewandert sind – teils auch allein. Denn das Stereotyp ist, dass sie nur durch den Familiennachzug hergekommen sind. Trotzdem war es, besonders am Anfang, eine männerdominierte Gesellschaft“, erzählt Cem Kaya. In „Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ gibt er unter anderem Musikerinnen wie Yüksel Özkasap, Cavidan Ünal oder Derya Yıldırım Raum – „starke und selbstständige Frauen“, wie er betont, ohne die er sich seinen Film nicht hätte vorstellen können.

Vom Suchen und Finden des Materials

Das Ausspüren des Materials gestaltet sich teils schwieriger als ursprünglich gedacht, was auch die lange Produktionsdauer von mehreren Jahren erklären mag. „Bei der Archivrecherche war das Interessante und Lustige, dass wir die Namen falsch schreiben mussten. Wenn wir zum Beispiel nach Cem Karaca gesucht haben, haben wir ihn erst einmal normal eingegeben – und dann nochmal in zehn Varianten, wie ihn vielleicht ein deutscher Redakteur schreiben würde. Und siehe da: Bei vielen Künstlerinnen und Künstlern hat man dadurch plötzlich etwas gefunden!“, führt der Filmemacher lachend aus. Mit seinem Team hat er infolgedessen nicht nur ein eigenes Ablagesystem entwickelt, er hat teils auch in den Archiven aufgeräumt, was die Beschriftung und Verschlagwortung betrifft.

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Im Caligari Kino Ludwigsburg und im Stuttgarter Arthaus Kino Delphi sorgte die DOK Premiere für regen Austausch zwischen dem Filmemacher und dem Publikum (Foto: Salome Hanselmann/HDF)

Neben den öffentlich-rechtlichen Beständen, aus denen Kaya nicht zuletzt aufgrund der Koproduktion mit WDR, rbb und Arte schöpfen konnte, sind Sequenzen von ausländischen Sendern sowie Privataufnahmen in den Film eingeflossen. Beispiel Hochzeitsbands, ohne die keine türkische oder kurdische Feier vorstellbar ist. „Wir wollten kein Zeug aus dem Netz ziehen, was schon bekannt ist. Wir wollten etwas Exklusives!“, erklärt Kaya. „Aber die Kameraleute, die auf Hochzeiten filmen, geben ihre Sachen an die Familien ab, die sie beauftragt haben. Die Familien wiederum rücken diese privaten Aufnahmen nicht raus, wenn sie dich nicht kennen. Zufällig habe ich dann einen Freund eines Freundes gefunden, der 40 Minuten auf einer Hochzeit gefilmt hat – und sogar noch die richtige Band!“

Teamleistung

„Wenn das Material da ist, musst du einen Rough Cut machen und in die Klärung gehen, wobei dieser Rohschnitt nicht zu viel Überhang haben darf. Schließlich kann dir niemand für fünf Stunden Rechte klären. Diese Vorklärung ist aber wichtig, damit du im Feinschnitt weißt, was du benutzen darfst und was nicht“, erklärt Kaya beim Publikumsgespräch. „Man bekommt Sequenzen immer nur als kleine Previews, schneidet also jahrelang mit diesem pixeligen Matsch und kann sich gar nicht so richtig vorstellen, wie es später aussieht. Wenn irgendwann alles geklärt ist, kommt das saubere Material rein, was aber zum Beispiel nur fürs Fernsehen digitalisiert sein kann. Zumindest bei den wichtigsten Sachen muss man deshalb den 16 oder 35mm Film nochmal neu abtasten lassen.“

An seiner Seite hatte Cem Kaya unter anderem die renommierte Archive Researcherin Monika Preischl. „Monika wollten wir von Anfang an für diesen Film haben. Sie ist die wichtigste Bildklärerin und Bildfinderin hier in Deutschland. Und wow, sie kann verhandeln! Wenn jemand kommt und 100.000 US-Dollar für eine Sekunde möchte, zahlt man am Ende nur dreihundert“, schwärmt der Filmemacher.

Kinostart und Auszeichnungen

„Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ hatte seine Weltpremiere am 15. Februar 2022 bei den 72. Internationalen Filmfestspielen Berlin. Bei der Berlinale wurde er mit dem Panorama Publikumspreis (bester Dokumentarfilm) ausgezeichnet, beim DOKfest München mit dem Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts 2022. Der Film mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ der Deutschen Film- und Medienbewertung ist am 29. September 2022 in den deutschen Kinos angelaufen. Die TV-Ausstrahlung ist für Ende 2023 geplant.

Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Ludwigsburg und Stuttgart aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch und Kay Hoffmann.

Cem Kayas „Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ (Filmfaust und Film Five mit WDR, rbb und Arte; Redaktion: Jutta Krug) war am 27. September 2022 im Arthaus Kino Delphi Stuttgart und 28. September im Caligari Kino Ludwigsburg zu sehen. Durch Abend und Talk führte Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms.

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Elisa Reznicek leitet die Online-Redaktion beim Haus des Dokumentarfilms und ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Hauses zuständig.
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