Szene aus »Herr Wichmann aus der dritten Reihe« © iskremas / rbb

»Herr Wichmann aus der dritten Reihe«

Zehn Jahre war es her, dass Regisseur Andreas Dresen den Lokalpolitiker Henryk Wichmann einen Monat lang während seines Wahlkampfs in der stabilen SPD-Hochburg begleitete. Für seinen zweiten Dokumentarfilm beobachtete Dresen den CDU-Politiker schließlich ein ganzes Jahr lang über insgesamt 30 Drehtage. Dabei entstand »Herr Wichmann aus der dritten Reihe«. Der rbb zeigte den Dokumentarfilm, der 2012 in den deutschen Kinos lief, am 4. Juli 2017 und danach bis 11. Juli 2017 in der Mediathek des Senders. Es ist fast schon ein sentimentaler Rückblick auf eine Zeit vor Pegida, AfD und russischen Wahlhackern – dafür aber mit Schreiadlern und nicht gebauten Radwegen.

Herr Wichmann aus der dritten Reihe

»Politiker entfernen sich doch immer mehr vom wirklichen Leben«. Gegen solche Vorwürfe muss sich der 33-jährige Landtagesabgeordnete Henryk Wichmann ständig verteidigen. Seine Verteidigungstrategie besteht aus zuhören, nicken und seiner Versicherung, die Probleme mithilfe von Absprachen mit den »richtigen Leuten«, Kompromissen und dem Gesetz lösen zu wollen. Wichmanns Arbeit findet an allen erdenklichen Orten statt, sei es im Moor, in seinen zwei Bürgerbüros, in der Grundschule, in der Landtags-Kantine oder beim Erdbeerbecher in der Eisdiele. Fünf Stunden täglich fährt der Landtagsabgeordnete mit dem Auto, um den Menschen in der Region Uckermark die Hände zu schütteln.

Wie absurd und skurril diese Probleme sind, sorgt für Gelächter. Seit Jahren sorgt ein sogenannter Schreiadler in einer Gemeinde für Diskussion. Das Tier nistet an einer Schnellstraße, an welche ein Fahrradweg angegliedert werden soll. Wichmann sieht nicht ein, dass der 8-jährige Baustopp für den Fahrradweg weiterhin besteht und spricht mit den Beteiligten: Wird sich das Tier wirklich durch die Radler gestört fühlen? Sollte man den Weg teeren lassen? Es geht hin und her. »Das ist ein Ping-Pong-Spiel. Nicht mit mir«, kommentiert Wichmann in seiner komischen, verdatterten, aber sympathischen Art. Das Land Brandenburg ist arm – ein bisschen Tourismus könnte da nicht schaden. »Natur- und Tierschutz ist wichtig. Aber manchmal muss man abwägen«, ist der Politiker überzeugt. Tatsächlich kommt es später zu einem Kompromiss: Der Radweg wird gebaut.


» Herr Wichmann aus der dritten Reihe (rbb Mediathek)

(Video laut Sender abrufbar bis 11. Juli 2017)

Die Entscheidung, einen CDU-Politiker zu begleiten, traf Filmemacher Andreas Dresen damals ganz bewusst, »um Abstand und Neutralität zu wahren.« Über 100 Stunden Filmmaterial sammelte der erfahrene Spielfilm-Regisseur für seine Produktion an. Zu einem zweiten Film kam es aufgrund der guten Zusammenarbeit der beiden und wegen Wichmanns neuer beruflichen Perspektive. Über Herr Wichmann aus der dritten Reihe« sagte Dresen: »Schwierig war das große Themenspektrum und dass sich manche Probleme klärten, ohne dass ich mit der Kamera dabei war.«

Wichmanns Bemühungen sind nicht immer mit Erfolg gekrönt. Er sitzt in der Opposition und – so wie in der Demokratie verankert – geht nichts ohne Abstimmung im Plenarsaal. Im Film mögen die Abstimmungs-Szenen bei manchen für Enttäuschung sorgen. Die Abgeordneten sitzen teilnahmslos oder geistig abwesend im Saal. Der Dokumentarfilm erklärt den Grund dafür, indem er Szenen zeigt, wo die Meinungen gebildet werden: Bei Konferenzen im kleinen Kreis oder in persönlichen Gesprächen in der Kantine. Szenen, bei denen die Presse für gewöhnlich nicht präsent ist. Politik kann ja so langweilig sein – aber auch so effektiv.

Herr Wichmann aus der dritten Reihe
Dokumentarfilm
D 2012, 90 Minuten
Regie: Andreas Dresen
Produktion: iskremas Filmproduktions GmbH
Koproduktion: Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), Rommel Film e.K.

(Thomas Schneider / Franziska Weigelt)

image_pdfAls PDF speichernimage_printDrucken
Redaktion
Wir, die Redaktion von dokumentarfilm.info, versorgen Sie regelmäßig mit News, Artikeln und Hintergründen rund um den Dokumentarfilm.
Facebook
Twitter

Dies könnte Sie auch interessieren:

»Ingmar Bergman – Herr der Dämonen«

Wie nahe Genie und Exzentrik - und in manchen Fällen wohl auch Wahnsinn - beieinander liegen, lässt sich bei Filmregisseuren ganz besonders gut ablesen. Über Orson Welles, Quentin Tarrantino oder auch den schwedischen Regisseur Ingmar Bergman geben zuvorderst ihre eigenen Arbeiten Zeugnis ab. Die deutsche Filmemacherin Henrike Sandner, die bereits viele Künstler-Dokumentationen erarbeitet hat, ist für »Ingmar Bergman – Herr der Dämonen«  dem schwedischen Regie-Monolithen ganz nahe gerückt. Sie zeigt hinter seinen wunderbaren Filmen (»Szenen einer Ehe« im Anschluss) ein tief verschüchtertes, um Anerkennung kämpfendes Kind im Manne. Bis 20. Juli 2018 in der Mediathek des Senders abrufbar.

Deutscher Filmpreis für „Herr Bachmann und seine Klasse“
Am vergangenen Freitag (1.10.21) wurde die LOLA, der Deutsche Filmpreis, vergeben. Als bester Dokumentarfilm wurde „Herr Bachmann und seine Klasse“ ausgezeichnet, auch der Preis für die beste Tongestaltung ging an einen Dokumentarfilm.
Beyond Documentary: Eis, Herr Bachmann und Schattenkind
Im März 2023 stehen Podcasts zu den Dokumentarfilmen „Into the Ice“ von Lars Ostenfeld, „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth und „Schattenkind“ von Jo Müller auf dem Programm. Die Podcast-Episoden blicken hinter die Kulissen.
Archivfilm-Reihe: Lebensgefühl in den Nachkriegsjahren
In zwölf kurzen Filmen präsentiert die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg (LFS) auf ihrer Website die unmittelbare Nachkriegszeit im deutschen Südwesten. Der größte Teil der Bilder sind Privataufnahmen von Amateurfilmern und stammen aus dem LFS-Bestand.