Filmstill aus GOKOGU NO NEKO, Berlinale 2024

Von Katzen und Menschen: GOKOGU NO NEKO bei der 74. Berlinale

Auch das ist die Berlinale: Fernab vom Trubel rund um nationale und internationale Stars verzaubern kleine, zurückhaltende Produktionen das Kino-Publikum. So der Dokumentarfilm THE CATS OF GOKOGU SHRINE des japanischen Filmemachers Kazuhiro Soda.

Die Katzen des Gokogu-Schreins

Der Delphi Filmpalast ist an diesem Samstagvormittag (17.2.24) natürlich ausverkauft. Passend zum „Caturday“ lockt die Weltpremiere von GOKOGU NO NEKO über die Katzen des Shintō-Schreins Gokogu die unterschiedlichsten Menschen ins Lichtspieltheater. Sie alle wollen sehen, was es mit den tierischen Bewohnern in Ushimado, einer dörflichen Küstengemeinde in der Nähe von Okayama, auf sich hat – und bekommen so viel mehr als eine Tierdoku.

Denn Kazuhiro Soda, der in seinem „observationalen film #10“ wieder in Personalunion alles von Regie über Kamera und Ton bis hin zur Montage persönlich umgesetzt hat, legt sein Augenmerk nicht nur mit viel Geduld, Witz und Gespür für den richtigen Moment auf die Tiere.

Filmstill aus GOKOGU NO NEKO, Berlinale 2024
Mensch und Tier im Blick: GOKOGU NO NEKO © Laboratory X

… und die Menschen in Ushimado

Im Verlauf eines Jahres weitet sich sein Blick Schritt für Schritt. Zu sehen sind Anwohner:innen und Besucher:innen des kleinen Ortes, in dem auch Soda und seine Frau Kiyoko Kashiwagi mittlerweile leben: Menschen, die sich mit viel Hingabe um die wild lebenden Katzen kümmern. Menschen, die selbst in hohem Alter die Außenanlage des Schreins pflegen. Menschen, die sich in aller Ruhe ihrem Hobby Fischen widmen. Menschen, die die Regeln des Zusammenlebens immer wieder neu verhandeln.

Kino als Möglichkeit, Brücken zu bauen

Zärtlich zugewandte Bilder sind es, die mit ihrer Intimität und Empathie im besten Sinne unaufgeregt zeigen, was ist. „Ich wollte das (Er)Leben der Katzen, Menschen, Pflanzen, Insekten … einfach allem, was rund um den Gokogu-Schrein ist, mit der ganzen Welt teilen“, sagt Soda im Filmpalast Delphi. „Wir kommen hier alle bei der Berlinale zusammen, um Filme zu schauen. Wir bringen verschiedene Backgrounds mit, stammen aus unterschiedlichen Kulturen, sprechen verschiedene Sprachen. Aber mit Hilfe des Mediums Kino können wir unsere Erfahrungen miteinander teilen – die Grundlage dafür, dass man sich gegenseitig versteht.“

Kiyoko Kashiwagi (l.) und Kazuhiro Soda (m.) bei der Weltpremiere von GOKOGU NO NEKO/THE CATS OF GOKOGU SHRINE (Foto: Elisa Reznicek/HDF)
Regisseur Kazuhiro Soda und seine Frau Kiyoko Kashiwagi bei der Berlinale 2024 © Elisa Reznicek/HDF
Berlinale 2024: Delphi Filmpalast (Foto: Elisa Reznicek/HDF)

Die Kraft des Beobachtens

In seinen konsequent am eigenen Regelwerk orientierten Dokumentarfilmen, von denen etliche bereits in der Berlinale-Sektion Forum zu sehen waren, zeigt Soda ein ums andere Mal die Kraft des Beobachtens. So auch in dem zweistündigen GOKOGU NO NEKO/THE CATS OF GOKOGU SHRINE. „Im Prinzip arbeite ich immer ohne Plan. Ich mache vor dem Dreh keine Recherche und schreibe keine Synopsis. Alles, was ich mache, ist die Kamera laufen zu lassen und zu schauen, was sich ergibt. […] Der ganze Prozess dreht sich eigentlich darum herauszufinden, was eigentlich passiert“, erzählt der Japaner beim Filmgespräch.

Mit Blick auf dieses „Offen-Lassen“ verwundert es kaum, dass im aktuellen Werk stellenweise Trennlinien zwischen den Filmeschaffenden und den von ihnen begleiteten Figuren verschwimmen. Sodas Ehefrau Kiyoko Kashiwagi ist eine der Protagonist:innen, die sich im Tierschutz engagiert, und fungiert zugleich als Ko-Produzentin des Films, und sogar der Regisseur verlässt seinen außenstehenden Posten in verschiedenen Situationen. In diesen Momenten wird die im besten Wortsinn radikale Beobachtung mitunter zu einer teilnehmenden.

Plakat GOKOGU NO NEKO/THE CATS OF GOKOGU SHRINE by Laboratory X
Plakat von GOKOGU NO NEKO © Laboratory X

Erstaunliche Innen- und Einsichten

Das für Kazuhiro Soda typische Eintauchen in den Moment und das Zulassen einer Entwicklung, die nicht durch ein Storyboard, Skript oder Erwartungshaltungen forciert wird, fördert erstaunliche Innen- und Einsichten zu Tage – übrigens nicht nur für das Publikum. Auch das Film-Duo berichtet nach dem Screening von Aha-Erlebnissen. „Während des Editings, das ebenfalls keinem klar definierten Ziel folgt, haben meine Frau und ich darüber geredet, was funktioniert und was eben nicht. Zunächst war unser Film linear angelegt und endete nicht wieder im Frühling. Aber irgendwann hat sie das vorgeschlagen und es hat mir die Augen geöffnet: Am Ende wurde es auch ein Film über den Kreislauf der Natur.“

Mehr über Kazuhiro Sodas „observational films“

Wer mehr über die Arbeitsweise des Japaners erfahren möchte, kann dies u. a. in seinem auf Englisch übersetzten Buch „Why I Make Documentaries“ (Viaindustriae Publishing, 2023) tun. Auf der Webseite des Arsenal Instituts für Film und Videokunst e. V., das die Sektion Forum/Forum Expanded gestaltet, gibt es zudem einen Kommentar des Regisseurs zu GOKOGU NO NEKO (deutschsprachig) sowie ein auf Englisch geführtes Interview mit Kazuhiro Soda.

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Picture of Elisa Reznicek
Elisa Reznicek leitet die Online-Redaktion beim Haus des Dokumentarfilms und ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Hauses zuständig.
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