Ohne Stuttgarter Schule kein Haus des Dokumentarfilms

Heute gilt Roman Brodmann als der bekannteste Vertreter der Stuttgarter Schule. Sein Werk ist nach wie vor Gegenstand von Lehrveranstaltungen an Film- und Medienhochschulen und der „Polizeistaatsbesuch“ von all seinen Stücken das am meisten gesehene. 

Mit dem nach Brodmann benannten Preis möchte das Haus des Dokumentarfilms jedoch nicht nur den Namensgeber selbst, sondern die Stuttgarter Schule insgesamt würdigen. Denn ohne diese Gruppe wäre es nie zur Gründung des Hauses des Dokumentarfilms in Stuttgart gekommen.

Dokumentarfilm als öffentlich-rechtlicher Auftrag

Als sich in den 1990er Jahren die Fusion der beiden Sender SDR mit Sitz in Stuttgart und SWF mit Sitz in Baden-Baden anbahnte, überlegten die damaligen SDR-Vertreter, was beim Zusammenschluss auf keinen Fall auf der Strecke bleiben solle. Schnell waren sie sich einig, dass es die dokumentarische Tradition sei: die Erinnerung an die klugen Köpfe der Stuttgarter Schule und die Würdigung filmischer Autorenhandschriften.

Dokumentarfilm als neuer Typ von Fernsehjournalismus war dem SDR Fernsehen seit seiner Gründung 1954 ein wesentliches Anliegen. Seinen Autoren hatte der Sender stets weiten Spielraum eingeräumt. Unabhängig, staatsfern, politisch und kritisch sollten sie gefilmte Versionen der Wirklichkeit bieten oder, wie Walter Jens es formulierte, „Meisterwerke visueller Rhetorik“ schaffen.

Die Gunst der Stunde – Hightech und High Culture

Die Zeit war günstig, die Politik des 1991 zurückgetretenen Ministerpräsidenten Lothar Späth hatte dem Land Baden-Württemberg ein neues Image verpasst: innovative Technologien, eine erfolgreiche Wirtschaft und visionäre Kultur. Zahlreiche neue Einrichtungen waren auf den Weg gegangen, darunter die Filmakademie in Ludwigsburg, in Karlsruhe das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), Festivals, Stiftungen, die Künstlerakademie Schloss Solitude, internationale Kulturwerkstätten, die Filmförderung und, und, und. Die Vision lautete: Hightech und High Culture. Also warum nicht auch ein Haus des Dokumentarfilms?

Ein Verein, aus Mitgliederbeiträgen finanziert

Die SDR-Verantwortlichen waren geschickte Netzwerker. Scheinbar mühelos gelang es ihnen, potente Partner von ihrem Plan zu überzeugen. Ihnen schwebte eine Einrichtung vor, die in eigner Regie den Dokumentarfilm als Kulturgut und massentaugliches Angebot des öffentlich-rechtlichen Systems pflegen und fördern sollte, über das Bundesland hinaus und am besten europäisch. Die Idee war ein Verein, der sich über Mitgliederbeiträge finanziert.

Das ZDF, ARTE, der WDR und der NDR wurden gewonnen, dazu die Industrie- und Handelskammer, die Religionsgemeinschaften, die Stadt Stuttgart, das Land Baden-Württemberg, der Verband der Film- und Fernsehproduzenten und die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg. 13 Mitglieder sind es geworden und bis heute geblieben. 

Inzwischen existiert das Haus des Dokumentarfilms seit mehr als 30 Jahren. Zeit, mit dem Roman Brodmann Preis an die Anfangsvision zu erinnern.

Roman Brodmann (links) beim Dreh für an DER POLIZEISTAATSBESUCH © Rexer/SWR (SDR)

Der SDR führte 1963 eine Fernsehwerkstatt durch, um Nachwuchs auszubilden. © Sammlung  R. C. M. Wagner Stuttgart; aus: Katalog zur Ausstellung “100 Jahre Filmland BW” (Hrsg. HDF)  

HDF-Visionär:innen der ersten Stunde (v. l. n. r.) Dieter Ertel, Gisela Huber, Anita Bindner, Peter Zimmermann, Lucia Jans, Kurt Stenzel © HDF

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Ulrike Becker
Ulrike Becker ist Geschäftsführerin und Programmleiterin im Haus des Dokumentarfilms · Europäisches Medienforum Stuttgart e.V.
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