Keyvisual Erfundene Wahrheit © SKY Deutschland/Kinescope

Doku-Tipp: „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ bei SKY

Bei „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ ist der Name Programm. Im Dokumentarfilm von Daniel Andreas Sager (u. a. „Hinter den Schlagzeilen“) dreht sich alles um einen der größten journalistischen Skandale in Deutschland: den Fall Relotius. Ab 24.3.2023 bei SKY Deutschland.

Blockbuster-Journalismus der Marke Claas Relotius

„Es klingt zu schön, um wahr zu sein? Dann ist es das wahrscheinlich auch nicht!“ Claas Relotius, vom US-amerikanischen Forbes-Magazin einst zu den herausragendsten Autoren unter 30 Jahren gezählt, legt mit Reportagen wie „Der Mörder als Pfleger“, „Die letzte Zeugin“, „In einer kleinen Stadt“ oder „Jaegers Grenze“ eine echte Bilderbuchkarriere hin. Er scheint immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. „Beständig toll erzählte Geschichten, dass man kaum glauben konnte, dass es das da draußen gibt. Er konnte Leute zum Reden bringen, die unglaubliche Dinge gesagt haben. Es war auch immer genau die richtige Szene, die er beobachtete“, wird sein vermeintlich bemerkenswertes journalistisches Talent im Film umrissen. Kamera und Montage in „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ veranschaulichen den literarischen Duktus in Relotius‘ Texten. Während ein Sprecher im Off Passagen aus den Reportagen vorliest, sind Aufnahmen der vermeintlichen Schauplätze zu sehen. Journalismus, so bildgewaltig wie ein Blockbuster im Kino oder der neue Bestsellerroman im Buchhandel.

„Das hat man einfach hingenommen und sich gefreut, dass es wieder so eine perfekt erzählte Geschichte ist – ohne darüber nachzudenken, dass das in der Form eigentlich gar nicht sein kann. Weil: Solche Geschichten gibt es nur im Märchen oder in Hollywood.“

„Sagen, was ist.“ DER SPIEGEL

Claas Relotius schreibt für Publikationen wie Cicero, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, das SZ-Magazin, NZZ am Sonntag, Tagesspiegel und nicht zuletzt für DER SPIEGEL, wo er ab 2017 festangestellt ist. Seine Texte werden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Österreichischen Zeitschriftenpreis, dem Katholischen Medienpreis, dem Peter-Scholl-Latour-Preis sowie viermal mit dem Deutschen Reporterpreis. Der Dokumentarfilm „Erfundene Wahrheit“ schildert, wie Relotius es schafft, die Öffentlichkeit, diverse Redaktionen und die Dokumentationsabteilung des SPIEGEL hinters Licht zu führen. Wie er vorgibt, Fakten vermeintlich selbst gecheckt zu haben und teils sogar deren Belege fälscht. Erst 2018 fällt sein Lügengebäude zusammen – den Recherchen des freien Journalisten und seines ehemaligen SPIEGEL-Kollegen Juan Moreno sei Dank. Ein Skandal, der den SPIEGEL in seinen Grundfesten erschüttert und Wasser auf die Mühlen all jener gießt, die beständig Fake News schreien. Doch auch, wer nicht mit Verschwörungstheorien am rechten Rand fischt, kommt ins Grübeln. Der Imageschaden und Vertrauensverlust in den Journalismus sind massiv.

„Für einen gesellschaftlichen Diskurs und um freie Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir unverfälschte Informationen. Das ist die Aufgabe des unabhängigen Journalismus. Wenn dessen Glaubwürdigkeit beschädigt wird, ist nichts weniger als die Demokratie in Gefahr. Der Relotius-Skandal hat uns vor Augen geführt, wie schnell das passieren kann. Deshalb habe ich mit ‚Erfundene Wahrheit‘ einen Film gemacht, der die Zusammenhänge und Hintergründe [...] für ein breites Publikum zugänglich machen soll.“

Filmstill aus "Erfundene Wahrheit": SPIEGEL-Brücke © Sky Deutschland/Kinescope/Nicolai Mehring

Claas Relotius erklärt sich nicht

Wer hofft, dass sich Claas Relotius in „Erfundene Wahrheit“ selbst zu den Geschehnissen äußert, wird enttäuscht. Ein Interview mit ihm kommt ebenso wenig zustande wie eines mit dem designierten Blattmacher Matthias Geyer (Leiter des SPIEGEL-Gesellschaftsressorts, 2006 bis 2019) und dem seinerzeit als Nachfolger in der SPIEGEL-Chefredaktion vorgesehenen Ullrich Fichtner. Die Zuschauer:innen erfahren lediglich, dass Relotius sein Verhalten mit einer psychischen Erkrankung erklärt habe. „Ich habe versucht mit ihm [Relotius] in Kontakt zu treten, in der Entstehungsphase waren wir auch immer wieder in losem Kontakt. Mir persönlich war es wichtig, ihm die Möglichkeit zu geben, auch seine Sicht der Dinge darzulegen“, schildert Filmemacher Daniel Andreas Sager. „Als Hauptfigur des Skandals, die er ja nun mal ist, wollte ich ihm die Chance geben, sich zu erklären – er wollte sie aber nicht wahrnehmen.“

Betroffene und Kolleg:innen kommen zu Wort

Stattdessen gibt Daniel Andreas Sager u. a. jenen eine Stimme, die schon früh auf Ungereimtheiten aufmerksam gemacht haben: Kameramann Syara Kareb, der schon lange vor den Enthüllungen Morenos auf erfundene Gespräche in der Reportage „Löwenkinder“ hinweist. Michele Anderson und Jake Krohn, die gemeinsam zum Wahrheitsgehalt von Claas Relotius‘ SPIEGEL-Reportage „In einer kleinen Stadt“ recherchieren. Oder Gabi Uhl, Vorstand von Initiative gegen Todesstrafe e.V., deren Hinweise auf Unstimmigkeiten mit einer lapidaren E-Mail und leeren Worthülsen von Claas Relotius abgewiegelt werden, bevor die Redaktion überhaupt davon Kenntnis erlangen kann. Besonders hart trifft es Juan Moreno (Bild am Laptop), der zunächst seine Aufträge als freier Journalist bei DER SPIEGEL verliert, als er seinem Kollegen vermeintlich an den Karren fährt. Versucht man intern zu covern, was sein kann, aber einfach nicht sein darf? Dies wird im Film zumindest angedeutet. 

Filmstill aus "Erfundene Wahrheit": Juan Moreno am Laptop © Sky Deutschland/Kinescope/Nicolai Mehring

„Mir persönlich war es […] sehr wichtig, Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Dazu gehören z.B. Menschen, die in Relotius’ Reportagen auftauchen, die es tatsächlich gibt, deren Geschichten oder Biografien aber von Relotius umgeschrieben und verfälscht wurden, aber auch beteiligte Kolleg:innen. […] Ich wollte die verschiedenen Schicksale sichtbar machen, die es um diesen großen Skandal herum gibt und die bislang noch nicht beleuchtet wurden.“

Eine der stärksten Passagen ist das bisher unveröffentlichte Videomaterial von Mirco Talierco. Es zeigt das Gespräch zwischen Moreno, Talierco und Tim Foley (Bild rechts), dem Protagonisten in Claas Relotius‘ SPIEGEL-Reportage „Jaegers Grenze“. Es stammt aus einer Zeit, als Juan Moreno versucht hat, Relotius der Hochstapelei und Lüge zu überführen. Foley gehört einer Bürgermiliz in Arizona an, die an der Grenze zu Mexiko pa­trouilliert. Laut Relotius sollen dabei sogar Schüsse fallen. Verletzte und sogar Tote nicht ausgeschlossen. „In diesem Video erleben wir live mit, wie Tim Foley Juan Moreno erklärt, dass Claas Relotius […] niemals bei ihm war. Geschweige denn die Gespräche mit ihm geführt hat, von denen man in ‚Jaegers Grenze‘ lesen kann. Das ist ein ganz neuer Einblick, den der Film gibt“, so Daniel Andreas Sager.

Filmstill "Erfundene Wahrheit"; Tim Foley (Archivaufnahmen) © Sky Deutschland/Kinescope/Mirco Taliercio

„Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ bei SKY

„Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ von Daniel Andreas Sager läuft am 24. März 2023 exklusiv bei SKY Deutschland an. Nur weniger Tage zuvor, am 18. März 2023, feierte die Produktion von Kinescope Film in Zusammenarbeit mit Sky Studios beim diesjährigen Kopenhagener Dokumentarfilmfestival CPH:DOX Weltpremiere.

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Elisa Reznicek
Elisa Reznicek leitet die Online-Redaktion beim Haus des Dokumentarfilms und ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Hauses zuständig.
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