Christoph Terhechte begrüßt das Publikum

DOK Leipzig startet mit starken Filmen

Am 17.10.2022 eröffnete das DOK Fest im Leipziger Cinestar. Festivalleiter Christoph Terhechte reagiert auf politische Umbrüche und präsentiert ein Festivalprogramm, das sich solidarisch mit den Menschen im Iran und in der Ukraine zeigt. Der Preis für den besten Dokumentarfilm einer Regisseurin ging an „A Bit of a Stranger“.

Solidarität mit Frauen im Iran

Bei der Eröffnung sagte Terhechte: „Kunst muss sich der Wirklichkeit stellen und sie braucht Interaktion mit dem Publikum. Dafür sind wir als Festival da. Wir bedauern es daher, dass uns nicht die Zeit blieb, auf die Proteste im Iran zu reagieren. Es ist uns dennoch ein Bedürfnis, uns solidarisch zu erklären mit den mutigen Frauen im Iran und allen, die endlich Aussicht haben, Jahrzehnte der Unterdrückung abzuschütteln und elementare Menschenrechte durchzusetzen.“ Auf den russischen Angriff auf die Ukraine konnte das Festival reagieren und zeigt zahlreiche Produktionen von dort. Bei der Eröffnung übergab die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch den mit 5.000 € dotierten Preis an das beste Dokumentarfilmprojekt einer Regisseurin an die ukrainische Filmemacherin Svitlana Lishchynska für ihr Projekt „A Bit of a Stranger“. Darin begleitet sie die Flucht ihrer Familie aus Mariupol mit der Kamera.

Eigene Familiengeschichten

Um die tragische Familiengeschichte italienischer Arbeitsmigranten ging es auch im Eröffnungsfilm „No Dogs or Italiens Allowed“ von Alain Ughetto, der das verlustreiche Schicksal seiner Familie thematisiert. Es ist ein ausgezeichneter Animationsfilm mit Puppenanimation, der allerdings durch die Art der Figurengestaltung schon fast zu lieblich wirkt.

©DOK Leipzig 2022|Die toten Vögel sind oben|Regie:Sönje Storm

Das Schaffen ihres eigenen Urgroßvaters Jürgen Friedlich Mahrt würdigt Sönje Storm in ihrem unabhängig produzierten „Die toten Vögel sind oben“. Er war eigentlich Bauer in Norddeutschland, übergab seinen Hof aber sehr früh an seinen Sohn, um die Natur zu beobachten. Er fotografierte die Vögel und Insekten seiner Umgebung, stopfte Tier aus und präsentierte sie in einem Museum. Außerdem platzierte er die ausgestopften Tiere in der Natur. Das Ergebnis waren brillante Aufnahmen. Heute sind seine Objekte Beweise für den Verlust der Artenvielfalt und tiefgreifende landschaftliche Veränderungen. Mit Gespür für den richtigen Ton erzählt Sönje Storm seine Geschichte. Durch das Sounddesign entstand ein überzeugender Film über die Rekonstruktion von Vergangenheit.

QnQ bei DOK Leipzig
Sönje Storm mit ihrem Filmteam beim QnA ©Kay Hoffmann/HDF
Filmplakat

Film als Waffe

Der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito schickte 1959 seinen Lieblingskameramann Stevan Labudović nach Algerien, um den Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich medial zu unterstützen. Diese Filme waren wichtig, um der französischen Propaganda entgegenzuwirken und die eigenen Kämpfer moralisch zu unterstützen. Der Kameramann begleitete die Unabhängigkeitskämpfer und dokumentierte französische Angriffe und Zerstörungen. Damit konnte die Weltöffentlichkeit mobilisiert werden. Mila Turajlić porträtiert Stevan Labudović und greift dafür auf seine Filme und Notizen von den Dreharbeiten zurück. Sie macht deutlich, eine wie wichtige Rolle die Medien im Algerienkrieg spielten.

Vom Punk zum begehrten Maler

Pepe Danquart porträtiert in „Daniel Richter“ einen Maler, der eine interessante Entwicklung genommen hat. Aus einem linken Aktivisten wurde ein auf dem Kunstmarkt begehrter Maler. Danquarts Ziel war es, die Entwicklung der Idee von der weißen Leinwand über ihre Ausführung bis hin zur Ausstellung zu verfolgen. Danquart begleitete Richter rund drei Jahre und besuchte ihn an 25 Tagen im Atelier. Dazwischen gibt es intensive Gespräche mit Daniel Richter, in dem er über seine persönliche Entwicklung und die seiner Kunst reflektiert. Gespräche mit befreundeten Malern, einer Kunsthistorikerin und einem Sammler ergänzen das Bild. Richter überzeugt mit seiner großen Bandbreite: In seinem Werk findet man großformatige Ölgemälde, kleine Zeichnungen sowie originelle Collagen. Der Film startet Ende Januar 2023 im Kino.

Architektur als Machtsymbole

Heinz Emigholz hat schon viele Dokumentarfilme über Architektur realisiert, in denen er dem Publikum dieselbe durch genaue Blicke auf Details näher bringt. Diesem Konzept bleibt er in seinem neuen Film „Schlachthäuser der Moderne“ treu. Darin portraitiert er Ende der 1930er Jahre erbaute kommunale Schlachthäuser in Argentinien. Damals wurde das Land durch den Verkauf von Fleisch reich. Diese Bauten kontrastiert Emigholz mit dem Neubau des Berliner Schlosses, den er für einen Skandal hält. In diesem Kontext verweist er auf die deutsche Kolonialvergangenheit und den Genozid der Herero in Namibia. Überhaupt wählt der Regisseur in diesem Film einen sehr politischen Kommentar, dem man manchmal nur schwer folgen kann. Als drittes Element kommen postmoderne Häuser und Paläste des Architekten Freddy Mamani in Bolivien hinzu, der für seine starken Farbakzente bekannt ist. In seinem Film will Emigholz bewusst auf festgezurrte Bilder der Architektur verzichten und zur Reflektion anregen: Welche politischen Rolle nimmt sie heute noch im öffentlichen Raum ein?

Filmstill "Daniel Richter"
Filmstill Schlachthäuser der Moderne

Machtmissbrauch beim RBB

Mit den Folgen des Skandals beim RBB beschäftigte sich die AG DOK in einer Paneldiskussion, bei dem es um die Reformen der Aufsichtsgremien ging. Diese sollen in Zukunft ein solches systemisches Versagen verhindert. Die hochkarätig besetzten Runde macht deutlich, dass schon seit geraumer Zeit daran gearbeitet wird, die Transparenz von Rundfunk- und Verwaltungsräten zu erhöhen. Die Umsetzung dieser Reformen gestaltet sich jedoch von Sender zu Sender unterschiedlich und letztlich bleiben Forderungen nach Transparenz und Qualität häufig schwammige Begriffe. Die Umsetzung der oft langwierigen Reformen mache es schwer, die Bevölkerung von deren Wirksamkeit zu überzeugen. Im Kern müsse es darum gehen, der Bevölkerung die wichtige Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verdeutlichen, waren sich die Diskutant:innen einig.

Ausführlichere Informationen zum Panel finden Sie in einem gesonderten Artikel.

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Picture of Kay Hoffmann
Dr. Kay Hoffmann war langjähriger Studienleiter Wissenschaft im HDF und Gesamtkoordinator des DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005“. Zusätzlich ist er seit langem Kurator der DOK Premieren in Ludwigsburg.
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