Neu im Kino: »Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy«

Nach seiner Uraufführung beim DOKfest München im Mai 2017 startete Mitte Dezember der neue Film von Thomas Riedelsheimer »Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy« in den deutschen Kinos. Vor 16 Jahren bereits hatte der Regisseur in dem überwältigenden Überraschungserfolg »River and Tides« diesen sympathischen Land-Art-Poeten schon einmal porträtiert. Goldsworthy, der in seinen Kunstwerken stark mit der Natur und Landschaft verbunden ist, wurde seitdem bekannter, zugleich aber auch nachdenklicher und reifer. Der aktuelle Film präsentiert viele neue Arbeiten mit einer unglaublichen Leichtigkeit und in fantastischen Bildern.

Kinostart: 14. Dezember 2017

Das Ziel von Thomas Riedelsheimer mit seinem neuen Dokumentarfilm war es, auf verschiedenen Ebenen einen unterschiedlichen Blickwinkel, eine neue Perspektive, eine andere Wahrnehmung auf den Künstler Andy Goldsworthy zu werfen. Drei Jahre hat der Filmemacher Goldsworthy begleitet.

Der britische Natur-Künstler ist mittlerweile Teil seiner eigenen Kunstwerke geworden. Zugleich erscheinen diese zunehmend zerbrechlicher, persönlicher, ernster und rauer. Zum Teil wirken sie sehr spontan gestaltet, wenn sich Goldsworthy beispielsweise auf den Boden legt, der Regen beginnt und er den Umriss seines Körpers als trockene Fläche hinterlässt. Sobald er aufsteht, löscht der Regen Tropfen für Tropfen das Bild aus.

Oder die Idee, nicht auf einem Bürgersteig zu gehen, sondern durch Hecken und dadurch ein neues Gefühl zu bekommen. Oft arbeiten er und seine Tochter mit Elementen der Natur, wie zum Beispiel bunte Blütenblätter, mit denen sie eine farbige Spur durch die Stadt legen oder die Hände damit verhüllen und den Fluss die Camouflage abspülen lassen. Oder er nimmt sie in den Mund und spuckt sie als bunte Wolke heraus. Oder er schüttelt an einem Nadelbaum und der Blütenstaub bildet eine riesige gelbe Wolke – und bringt den Künstler zum Husten. Mit der lakonischen Musik von Fred Frith wird der Film zu einem meditativen Ereignis mit unglaublicher optischer Opulenz.

Bei anderen Aktionen, die er auf der ganzen Welt realisiert, lässt er sich auf die Natur ein, ob er sich von vorbeifahrenden Autos unbemerkt in einen Baum am Straßenrand stellt oder seinen Körper vom Wind umblasen lässt. Dies Bild gab dem Film seinen Titel und Goldsworthy kommentiert, dass es ihm dabei darum ginge, schwebend die Balance zu halten. Dies gilt für viele seiner Kunstwerke, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen. Selbst wenn bei anderen Kunstwerken riesige Gesteinsbrocken oder Bäume mit schweren Maschinen bewegt und mit verschiedenen Geräten bearbeitet werden, kommt am Ende doch auch wieder ein sehr harmonisches Kunstwerk heraus.

Thomas Riedelsheimer verzichtet zum Glück auf die exakte Lokalisierung und Datierung der Arbeiten. So fließt der Film dahin wie ein großer ruhiger Bach, auf dem trockene Blätter sich ihren Weg suchen. Er wird mit seinen leicht bemoosten Bäumen am Ufer zu einem ganz zentralen Thema im Film. Immer noch ist Goldsworthy der entwaffnend offene und verschmitzte Erzähler, der so fasziniert ist von der Natur und Landschaften. Goldsworthy sagt zu seiner Arbeit: »Die Leute denken, ich hätte vielleicht ein so tiefes Verständnis für die Natur, dass ich irgendwie mühelos durch sie hindurch schwebe. Aber so ist es nicht. Ich falle oft.« Für ihn ist Natur nicht nur schön, sondern ebenso brutal, dunkel und mächtig.

Erst ziemlich zum Ende hin bei einem Interview im Büro des Künstlers wird deutlich, dass hinter der vermeintlichen Leichtigkeit doch auch Arbeit und Planung steckt, in dem an der Wand im Hintergrund die Skizzen hängen, wie die Kunstwerke einmal aussehen könnten. Dies nur kurz anzudeuten ist sicherlich eine weitere Stärke des Films. Er lädt ein, in die Welt des Andy Goldsworthy regelrecht einzutauchen und sich ganz auf seine Werke einzulassen, sich auf eine sinnliche Reise zu begeben. Besser kann man ihn nicht porträtieren und viele verlassen nach diesem Erlebnis glücklich das Kino. Ein toller Film um eine Weile dem tristen, grauen Alltag zu entfliehen.

Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy
Dokumentarfilm, D/GB 2014-2017, 97 Minuten
Regie, Buch und Kamera (u.a.): Thomas Riedelsheimer
Produktion: Skyline Productions Ltd. , Filmpunkt GmbH
Coproduktion: Creative Scotland
Verleih: Piffl Medien GmbH
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Kay Hoffmann
Dr. Kay Hoffmann ist Studienleiter Wissenschaft im HDF und Gesamtkoordinator des DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005“. Zusätzlich ist er seit langem Kurator der erfolgreichen DOK Premieren in Ludwigsburg.
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