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TV-Tipp 22.5.: Nichts als die Unwahrheit

Gibt es die eine Wahrheit oder gibt es derer viele? Eine Frage, die uns nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump beschäftigt. Eine heute als Lüge wahrgenommene, angebliche Erkenntnis über die Produktion von Massenvernichtungswaffen diente 2003 als Auslöser für den zweiten US-Irakkrieg, der zum Sturz von Saddam Hussein führte. Im Zentrum von Lügen und Wahrheit stand ein Geheimdienstinformant namens »Curveball«. Der heute in Deutschland lebende Iraker stand dem Filmemacher Matthias Bittner für lange Interviews zur Verfügung. Daraus entstand »Krieg der Lügen«, einer der zweifelsohne wichtigsten deutschen Dokumentarfilme der letzten Jahre. 3sat zeigt ihn am Montagabend.

Tagestipp:
3sat, 22:35 Uhr: Krieg der Lügen

Was bedeutet für Sie der Begriff Wahrheit? Das sind die ersten Worte, die man in »Krieg der Lügen« hört. Filmregisseur Matthias Bittner stellt sie aus dem Off an einen Mann mittleren Alters. Der legt sich die Worte gut zurecht, bevor er antwortet – so, als komme es auf jede Silbe an. Der Gefragte verspricht, in diesem Film die Wahrheit zu sagen. Und gibt doch auch zu: »Ich kenne die Wahrheit und ich kenne viele Wahrheiten«. Schon der Einstieg in diesen Dokumentarfilm, der 2016 den amerikanischen Fernsehpreis Emmy gewann und zwischen 2012 bis 2014 als Abschlussfilm an der Filmhochschule Baden-Württemberg entstand, konfrontiert den Betrachter nach der grundlegenden Frage: Kann man dem hier Gezeigten trauen.

Gibt es nicht nur die eine Wahrheit, sondern viele? Ist sie teilbar, duplizierbar, ersatzbar? Lange vor den Realitätsverschiebungen um den aktuellen US-Fake-Präsidenten hat diese Frage die Welt erschüttert und Krieg ausgelöst. Im Zentrum von Lüge und Wahrheit stand eben dieser Mann: Rafed Ahmed Alwan, ein Iraker – besser bekannt als der Geheimdienstinformant »Curveball«

»Die Quelle ist ein Augenzeuge. Ein irakischer Chemieingenieur, der eine dieser Anlagen betreute. Er war tatsächlich anwesend, als biologische Kampfstoffe hergestellt wurden.« Das sagte US-Außenminister Colin Powell vor der UN-Vollversammlung am 5. Februar 2003 als Begründung für »Operation Iraqi Freedom«. Heute weiß man: Der Krieg basierte auf einer Lüge. Der Lüge von der Existenz mobiler Massenvernichtungswaffen im Irak. Der Mann, von dem Colin Powell spricht, lebt heute in Deutschland. Er ist genau jener Rafed Ahmed Alwan, der sich nun dem jungen Filmemacher Bittner nun in einem langen Interview stellte.

Das Gespräch, zu dessen Beginn Alwan versprochen hat, die Wahrheit zu erzählen, dreht sich vor allem um Lügengespinste, die sich immer dichter um den ehemaligen irakischen Chemiker spannen. Angeblich nahezu ohne sein Zutun wurde Alwan, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte, zu »Curveball«. Er lieferte angebliche brisante Informationen an die Geheimdienste, die diese letztlich zum Vorwand nahmen, um Saddan Hussein zu stürzen. Alwan präsentiert sich in »Krieg der Lügen« allerdings auch als ein Mann, der sich vor allem den Sturz von Husseins Regime erträumte. Sah er in seiner plötzlichen Attraktivität für die Geheimdienste seine kleine, große Chance?

Immer wieder dient das Interview nur als Off-Kommentar, wenn der Film nachinszenierte Szenen und Material aus Nachrichtensendungen zur Illustrierung des Gesagten zeigt. Letztlich sind diese Anweichungen vom Interviewkonzept aber nur dem Bedürfnis geschuldet, dem ZUschauer optische Abwechslung zu bieten. Die Bilder dienen nicht als Beleg für den Wahrheitsgehalt dessen, was »Curveball« heute sagt. Letztlich bliebt die Frage nach der Wahrheit eine Frage der Glaubwürdigkeit. Bittners »Krieg der Lügen« kann die »wahre Wahrheit« letztlich nicht belegen. Doch er ist zweifelsohne einer der wichtigsten Dokumentarfilm der letzten Jahre über die Wahrnehmung die Manipulation von Realitäten.

Dokumentarfilm
D 2012-2014, 90 Minuten
Regie: Matthias Bittner
Produktion: Zischlermann Filmproduktion
Co-Produktion: Filmakademie BW, SWR
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