#Female Pleasure: Hinschauen tut weh, aber es verändert

Es ist kein muslimisches, kein jüdisches, kein christliches, kein hinduistisches oder buddhistisches Problem, sondern eines, das sich durch viele Religionen und die Verwahrinstitutionen des Glaubens zieht: die Frau steht nicht nur unter dem Mann, sie ist die eigentliche Gefahr, die den Mann verderben und beschmutzen will. Mit dieser seit Jahrtausenden etablierten Diskriminierung des weiblichen Geschlechts beschäftigt sich »#Female Pleasure«. Regisseurin Barbara Miller stellte ihren Dokumentarfilm bei der DOK Premiere in Ludwigsburg vor. Sie fand ein Publikum, das schockiert und aufgeweckt war, berührt und motiviert. Kein Film nur für Frauen, sondern auch für Männer. Die werden nämlich nicht pauschal verurteilt.

Kinostart: 4. November 2018

Wie oft man auch davon gehört oder darüber gelesen hat, so ist die Konfrontation mit der Realität doch ein tief erschütterndes Erlebnis. Es geschieht in »#Female Pleasure« einer kleinen Gruppe von jungen Männern, mutmaßlich Kinder somalischer Familien, die in der Londoner Diaspora dieser muslimischen Gemeinschaft aufgewachsen sind. Anfangs lachen sie noch über eine Wand aus Gipsabdrucken von weiblichen Vulvas. »Das ist unsere Vaginawand«, sagt Leyla Hussein. Doch dann zeigt sie den Jungs an einer übergroßen Knetskulptur, was auch heute noch, trotz aller Verbote, mit jungen Mädchen passiert. An der Skulptur stellt sie überdimensional eine Zerstümmelung nach. Wie die Klitoris herausgeschnitten wird, die äußeren und die inneren Schamlippen skalpiert werden, wie am Ende mit einer Nadel die blutende Wunde zugenäht wird und nur ganz unten ein kleiner Kanal bleibt. Für die Frau ist fortan alles, was mit ihrem Unterleib zu tun hat, mit Schmerzen und Demütigung verbunden. Es ist eine Beschneidung, die aus uralten Traditionen ihre Berechtigung holt und die dennoch, das spürt jeder, der hier zusieht, einfach nur falsch ist. Die Bestürzung im Gesicht der jungen Männer ist bei aller Grausamkeit, die in dieser Szene liegt, ein Hoffnungsschimmer. »Das wusste ich nicht«, stammelt einer. Und: »Ich musste an alle meine Schwestern denken.«

Nicht immer lassen sich Traditionen so schnell brechen. Die in einer ortodoxen Gemeinschaft aufgewachsene Deborah Feldman musste ihr komplettes Leben, ihre Familie, ihren Mann hinter sich lassen, umd sich und ihren Sohn zu retten aus einer Welt, in der sie als Frau nur ein Mensch zweiter Klasse war. Eine andere Frau in Barbara Millers Dokumentarfilm kämpft weniger gegen Traditionen, als gegen die Ohnmacht des Verstummtseins. Als junge Nonne wurde sie von einem Pater mehrfach missbraucht. Um sich zu befreien musste sie nicht nur das Gewand ablegen, sondern erst einmal erkennen, dass nicht sie schuld an diesen Taten war.

Verstümmelung, Verbote, Unterdückung, Vergewaltigung. Die Formen sexualisierter Gewalt gegen Frauen sind vielfältig und, wie die Schweizer Filmemacherin aufzeigt, auch tief verwurzelt. Mit ihren fünf Protagonistinnen aus fünf Kulturkreisen und Religionen entwirft sie ein globales Bild einer patriarchalen Macht über Frauen, die sich ihre Rechtfertigtung über Traditionen und religiöse Bräuche holt. Dabei will sie, wie sie im anschließenden Filmgespräch auf die Frage einer Zuschauerin betont, gar nicht generell Religion als Ursache verstanden wissen, sondern die institutionellen Mauern benennen, die Frauen auch heute noch einengen, einsperren und benachteiligen.

Gerade am Beispiel der jungen Christin, die zwei Mal ergebnislos ihre Geschichte dem Papst schrieb, wird deutlich, dass Tradition in diesem Fall auch Ignoranz heißt. Sie habe jetzt, nach dem dritten Brief, endlich eine Antwort erhalten, berichtet die Regisseurin vom Kampf Ihrer Protagonistin. Als Empfehlung sei darin gestanden: »Beten Sie für den Papst.« Ihr Vergewaltiger ist noch immer hoch angesehen im Priesteramt. Die Polizei, an die sie sich schließlich wandte, konnte nichts machen, weil der Mann keine physische Gewalt ausübte. Als ob Gewalt über Frauen nur dann Gewalt sei, wenn sie blutige Striemen hinterlässt.

Das Ludwigsburger Publikum, das den Saal des Kino Caligari bei dieser DOK Premiere bis auf den letzten Sitzplatz ausfüllte, zeigte sich tief ergriffen. Das Filmgespräch, das die Regisseurin anschließend mit Kay Hoffmann, dem Filmexperten des Hauses des Dokumentarfilms (Stuttgart) und Erfinder der Filmreihe, führte, wollte kein Ende mehr nehmen. Immer wieder wurde die Filmemacherin um Erklärungen und weitere Auskünfte gebeten. Ob nicht die fünf Geschichten am Ende zu positiv geschildert seien, wollte eine Zuschauerin wissen. Ihr sei es darum gegangen, so Barbara Miller, Mut zu machen. Auch wenn bei den fünf Protagonistinnen persönliche Veränderungen und auch Befreiungen zu beobachten sei, hieße das nicht, dass das grundsätzliche Problem gelöst sei. Arezoo Shoaleh vom Verein „Frauen für Frauen e.V.“ bestätigt das. Schon allein,  dass es einen Verein wie diesen in Ludwigsburg geben müsse, sei ein deutliches Zeichen.

Veränderungen an den Strukturen, so die Fimemacherin, sei nur durch eine weltweite Bewegung möglich. Deshalb trage ihr Film auch den Hashcode (#) im Namen, der auf die Vernetzung in den sozialen Medien hindeute. An einer solchen Bewegung kann jeder ganz einfach teilnehmen, in dem er »#Female Pleasure« anschaut oder empfiehlt. Veränderung beginnt so wie bei den jungen Männern, die einer nachgestellten Genitalverstümmelung beiwohnten, durch Hinschauen.

Der Film hatte mit Arek Gielnik (Indi Film) einen Mann als Produzent gefunden – und das sei, so Barbara Miller, ein großer Gewinn gewesen. Ihr geht es mit »#Female Pleasure« nicht darum, einen Frauenfilm gedreht zu haben. Sie will vor allem auch Männer erreichen. Die in Stuttgart und Berlin ansässige Produktionsfirma beweist mit ihrem Engagement nach Filmen wie »Democracy« (Deutscher Dokumentarfilmpreis 2017), »Alarm am Hauptbahnhof« (Grimme-Preis 2012) oder auch »Neukölln Unlimited« (Gläserner Bär, Berlinale 2011) ein ganz besonderes Gespür für schwierige gesellschaftliche Themen. Hier ist einer der wichtigsten Dokumentarfilme unserer Zeit gelungen. Dass man sich als über viele Strecken geschockter Zuschauer an manchen Stellen sogar beim Lachen erwischt (vor allem wenn die japanische Künstlerin Rokudenashiko in ihrem gelben Vagina-Kanu in See sticht) bestärkt dieses Urteil.

#Female Pleasure
Dokumentarfilm, CH/D 2016-18, 101 Min.
Regie: Barbara Miller
Produktion: Indi Film, Das Kollektiv für audiovisuelle Werke, Mons Veneris Films
Co-Produktion: u.a RTS, SRF, Arte G.E.I.E.
Förderung: u.a. MFG Filmförderung Baden-Württemberg
Kinoverleih: X Verleih
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Picture of Thomas Schneider
„Ich liebe Print, ich liebe Online, ich liebe es, das Beste zwischen beiden Welten zu vereinen“, sagte Thomas Schneider über seine Arbeit. Ab 2009 war er für das HDF im Bereich Redaktion sowie PR/Marketing tätig. 2019 verstarb Schneider überraschend und viel zu früh.
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