Festivalleiter Christoph Terhechte und Moderatorin Julia Weigl bei der Eröffnung von DOK Leipzig 2021 © Kay Hoffmann/HDF

DOK Leipzig bleibt auch 2021 sehr politisch

Das 61. Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm findet vom 25. bis 31. Oktober 2021 sowohl in den Kinos als auch vom 1.11.-14.11. in einer Auswahl online statt. Präsentiert werden 162 Filme aus 51 Ländern, darunter zahlreiche Premieren.

Insgesamt werden am Samstag 23 Preise vergeben, die mit 63.250 Euro dotiert sind, sowie Sachleistungen in Höhe von 10.000 Euro. DOK Leipzig findet 2021 hybrid statt, was auch das Logo, ein stilisierter Schalter, zeigt.

Eröffnung setzt politisches Zeichen

Der Eröffnungsfilm „Der Rhein fließt ins Mittelmeer“ von Offer Avnon reflektiert in einer assoziativen Form die Gegenwärtigkeit des Holocaust. Der israelische Regisseur, Sohn eines polnischen Überlebenden der Shoah, hat zehn Jahre in Köln gelebt und gearbeitet. „Nie, auch nicht für einen einzigen Tag“ habe er den Holocaust in dieser Zeit vergessen können. In seinem völlig unabhängig produzierten Film, denn weder Sender noch Förderungen waren von diesem Projekt überzeugt, interviewt er viele Menschen in Deutschland, Polen und Israel zum Umgang mit dem Holocaust. „Der Rhein fließt ins Mittelmeer“ begibt sich auf eine spannende Spurensuche der fortwährenden Traumata, Mechanismen der Verdrängung sowie der Versuche zur Verständigung. Das Spektrum reicht vom Holocaust-Überlebenden über vermeintlich Unbeteiligte bis zum rechtsradikalen Bundeswehrsoldat.

Interview-Partnerin im Film "Der Rhein fließt ins Mittelmeer" © DOK Leipzig 2021/Der Rhein fließt ins Mittelmeer, Offer Avnon
Interview-Partner im Film "Der Rhein fließt ins Mittelmeer" © DOK Leipzig 2021/Der Rhein fließt ins Mittelmeer, Offer Avnon

Interview-Partner:innen im Dokumentarfilm © DOK Leipzig 2021/Der Rhein fließt ins Mittelmeer, Offer Avnon

Festivalleiter Christoph Terhechte lobt: „Kein Bild, kein Satz, der nicht mannigfaltige Assoziationen auslöste. Der Teufel steckt im Detail – dafür öffnet dieser Film die Augen.“ Vor der Vorstellung dankte Offer Avnon den Berater:innen dieses ambitionierten Autorenfilms, zu denen auch Sabine Rollberg gehörte.

Regisseur Offer Avnon bei der Eröffnung von DOK Leipzig 2021 © Kay Hoffmann/HDF
Regisseur Offer Avnon bei der Eröffnung von DOK Leipzig 2021 © Kay Hoffmann/HDF

Vielfalt und politische Brisanz: Internationaler und deutscher Wettbewerb

Leipzig bleibt in seinem Programm also ein sehr politisches Festival. Thematische Schwerpunkte bei DOK Leipzig 2021 liegen auf Flucht, Migration und Vertreibung, Identität, Proteste, postkoloniale Perspektiven und afrikanische Filme, Familiengeschichten, die durch politische Umbrüche geprägt sind, und die Hinterfragung von Bildern, die politisch eingesetzt werden. Im Internationalen Wettbewerb konkurrieren 14 Langfilme um die Goldenen und Silbernen Tauben sowie zahlreiche Kurzfilme. 15 lange und kurze Produktionen wurden für den Deutschen Wettbewerb ausgewählt, darunter elf Weltpremieren, eine europäische Premiere und drei deutsche Premieren. Die Filme dokumentieren aktuelle politische Krisen auf der Welt, begeben sich auf historische Spurensuche und zeichnen selbstreflexive Porträts. Insgesamt bieten sie eine große thematische und stilistische Vielfalt. Außerdem gibt es einen gesonderten Wettbewerb um den Publikumspreis.

Retrospektive zum filmischen Umgang mit der Shoah

Die diesjährige Retrospektive „Die Juden der Anderen. Geteiltes Deutschland, verteilte Schuld, zerteilte Bilder“ widmet sich der Aufarbeitung und dem filmischen Umgang mit der Shoah. Der Bogen wird geschlagen von der NS-Propaganda „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“, den ein nahezu komplett jüdisches Team 1944 unter Regie von Kurt Gerron realisieren und das KZ verherrlichten musste, über Alain Resnais Klassiker „Nuit et Brouillard“ („Nacht und Nebel“), dessen west- und ostdeutsche Fassung gezeigt wird, bis zu Dokumentarfilmen aus der BRD und der DDR und dem wiedervereinten Deutschland.

Eine weitere Hommage ist dem israelischen Dokumentarfilmemacher Avi Mograbi gewidmet, der sich in seinen Werken oft mit Realitäten der israelischen Unterdrückung der Palästinenser beschäftigte; er wird eine Meisterklasse geben. Diesen Schwerpunkt brachte die Leipziger Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke bei der Eröffnung in direkten Zusammenhang mit dem Jubiläumsjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Das Festival DOK Leipzig „bietet Raum für die Auseinandersetzung mitaktuellen weltpolitischen Themen und dient als Ort der gemeinsamen Begegnung“, sagte sie. Die große Eröffnungsparty fiel allerdings der Pandemie zum Opfer.

DOK Industry: Vernetzung und Community Building

Sehr stark entwickelt hat sich das DOK Industry Programm mit rund Branchenveranstaltungen, die sowohl vor Ort als auch online angeboten werden. Dafür haben sich etwa 1.800 Fachbesucher:innen angemeldet. „Dabei ist es unser Ziel, die Dokumentargemeinschaft zu stärken und aufstrebenden Talenten sowie Filmschaffenden und Branchenvertreter:innen aus unterrepräsentierten Gruppen den Eintritt in den internationalen Markt zu erleichtern“, sagt die dafür Verantwortliche Nadja Tennstedt. Ein wichtiges Thema ist dieses Mal der Zugang zu Archiven und die Verwendung von historischem Footage in Dokumentarfilmen, was sich auch in der Veranstaltung „Spotlight On Archive“ spiegelt.

Festivalleiter Christoph Terhechte © DOK Leipzig 2019/Susann Jehnichen
Festivalleiter Christoph Terhechte © DOK Leipzig 2019/Susann Jehnichen
DOK Industry-Leiterin Nadja Tennstedt © Anna Rozkosny
DOK Industry-Leiterin Nadja Tennstedt © Anna Rozkosny

DOK Neuland im Kunstmuseum

Insgesamt zehn Arbeiten aus 15 Ländern werden bei DOK Neuland zu sehen sein. Darunter sind vier 360 Grad-Filme und sechs Virtual-Reality-Experiences. Auf der Außenfassade des Museums der bildenden Künste realisiert die amerikanische Filmemacherin Shelley Silver ihre Videoinstalltion „Hallo Du!“. Durch Satzfragmente in Textform wird das personifizierte Museum an jedem Festivaltag von 17 bis 22 Uhr direkt zum Publikum sprechen. Diese Aktivitäten zeigen, dass sich DOK Leipzig schon lange nicht mehr nur um den klassischen Dokumentar- und Animationsfilm kümmert, sondern sich neuen Herausforderungen stellt und immer neue Grenzbereiche der Medien erobert.

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Picture of Kay Hoffmann
Dr. Kay Hoffmann war langjähriger Studienleiter Wissenschaft im HDF und Gesamtkoordinator des DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005“. Zusätzlich ist er seit langem Kurator der DOK Premieren in Ludwigsburg.
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