Doku-Tipp: „Auslegung der Wirklichkeit“ über Georg Stefan Troller

Film sei „Auslegung der Wirklichkeit“, sagt Georg Stefan Troller im gleichnamigen Dokumentarfilm. Dem Leben des Journalisten und Dokumentaristen, der am 10.12.2021 seinen 100. Geburtstag feierte, widmet sich Ruth Riesers vielschichtiges Porträt.

Porträt zum runden Geburtstag: „Auslegung der Wirklichkeit“

Von Peter Handke bis Juliette Gréco – Georg Stefan Troller (*1921) interviewte in seinen „Pariser Journalen“ und „Personenbeschreibungen“ zahlreiche Prominente. Anlässlich seines runden Geburtstags steht der Österreicher jüdischer Herkunft in „Auslegung der Wirklichkeit“ nun selbst im Fokus.

Der sehenswerte Dokumentarfilm von Ruth Rieser feierte Weltpremiere beim DOKfest 2021 München und ist bis 12. März 2022 in der 3sat Mediathek verfügbar. Neben Ausschnitten aus seinen Interviews, in denen er einen ganz eigenen, subjektiven Stil entwickelte, sowie persönlichen Gesprächen mit Ruth Rieser, zeigt der Dokumentarfilm Stationen aus Trollers Lebens. Diese besucht der Filmemacher, ausgehend von seiner Pariser Wohnung, zusammen mit der Regisseurin.

https://www.youtube.com/watch?v=Ux_p4UnHsPM

Bücherschrank der Eltern noch da

In einer Schlüsselszene lässt Troller eine ältere Dame in die letzte Wohnung hinein, die er mit seiner Familie in Wien – vor der erzwungenen Emigration im Jahr 1938 – bewohnte. Dort steht noch der Bücherschrank seines Vaters. Ihn ihm befinden sich sogar noch Bücher, die Troller zu seiner Bar Mizwa bekam. Ein „eigentümliches Gefühl“ habe das in ihm ausgelöst, sagt er später zu einem Freund – zumal die jetzige Bewohnerin denkt, den Schrank von ihren Eltern geerbt zu haben. Das nicht alles ist, wie es scheint, dass es Brüche gibt in jeder Biografie, zeigt der Dokumentarfilm beispielhaft in dieser Szene.

„Was hast du mit dem Herzen gemacht?“

Seine jüdische Herkunft, das Verlassen der österreichischen Heimat, die Rückkehr als US-Soldat und Mit-Befreier von Dachau – all diese Erlebnisse haben sein Werk geprägt. „Jeden Morgen, wenn man aufwacht, fragt man sich, bin ich noch da? Bin ich noch ganz da?“, sagt Troller zu Beginn des Films. Er ist noch da, und hat es geschafft, die Schrecken seiner Vergangenheit zu überwinden – auch mit Hilfe der vielen Interviews mit Prominenten. „Wieder fühlen“ wollte er lernen im Austausch mit seinen Gesprächspartner:innen. „Was hast du mit deinem Herzen gemacht?“ – das solle die Frage am Ende eines jeden Lebens sein.

Georg Stefan Troller bei DOKVILLE 2012 © Rene Müller
Georg Stefan Troller bei DOKVILLE 2012 © Rene Müller

Huldigung Trollers und Zeitdokument

„Auslegung der Wirklichkeit“ ist nicht nur ein bewegendes Porträt des Ausnahme-Dokumentaristen, sondern auch ein spannendes Stück Zeitgeschichte – begleitet von Trollers tiefsinnigen Gedanken und geschichtsträchtigen Selbstreflexionen. „Der Zauber des Metiers liegt in dem eigentümlichen Verhältnis zwischen Wahrheit und Fiktion zwischen der Realität und ihrer Darstellung“, so Troller über den Dokumentarfilm als solchen. Und dieser „Zauber“ ist auch Ruth Rieser gelungen.

Ehrenpreis fürs Lebenswerk

Am 18. Juni 2021 erhielt Georg Stefan Troller den Ehrenpreis des Deutschen Dokumentarfilmpreises. Das SWR Doku Festival und die MFG Baden-Württemberg zeichneten damit das Lebenswerk des Regisseurs, Autors und Fotografen aus. SWR Intendant Prof. Dr. Kai Gniffke würdigte ihn: „Er ist eine große und filmprägende Persönlichkeit und noch heute ein Vorbild für alle Filmschaffenden. Authentisch und mitfühlend, kritisch und hautnah gelang ihm in über 150 Filmen bravourös die Balance zwischen atmosphärischer Dichte und präzisem Blick, zwischen dokumentarischer und journalistischer Erzählung.“

Filmstill aus "Auslegung der Wirklichkeit" © ZDF/Ruth Rieser

„Auslegung der Wirklichkeit“ bei 3sat

Der Dokumentarfilm über Georg Stefan Troller ist noch bis März 2022 in der 3sat-Mediathek verfügbar. Rund um den 100. Geburtstag von Georg Stefan Troller am 10. Dezember 2021 zeigten die öffentlich-rechtlichen Sender darüber hinaus zahlreiche Porträts Trollers sowie einige seiner Filme, die zum Teil noch in den Mediatheken zu sehen sind.

(Stefanie Roloff/Kay Hoffmann)