»Nowa Amerika«

»Den Aufbruch wagen« – so hat die Redaktion »Junger Dokumentarfilm« die 17. Staffel dieser vom Südwestrundfunk ausgestrahlten Reihe überschrieben. Eine Formulierung, die wunderbar passt zu »Nowa Amerika«, den Film, den der SWR am 11.10.17  in Erstausstrahlung zeigte, kann man bis 17. Oktober 2017 in der SWR-Mediathek abrufen. Kristof Kannegießer von der Filmakademie Baden-Württemberg erkundet darin ein nicht reales, aber dennoch existentes Land zwischen Polen und Deutschland. Ein Projekt der Fantasie, ein utopisch-politischer Prozess über die Realität des Unvorstellbaren und eine Selbsterfahrungsstunde zum Heimatgefühl. Eine Reise in das unbekannte Land namens Heimat.

Die Literatur- und Filmgeschichte ist angefüllt mit Wolkenkuckucksheimen – Slubfurt ist eines davon. Es ist eine Stadt, die es nicht gibt. Aber sie hat immerhin eine Stadtmauer – zwei Meter lang, rund, aus Ziegeln gebaut und praktischerweise auch als Sitzbank nutzbar. Auf dieser Bank filmt Kristof Kannegießer einen Mann, der sich als Touristenführer durch Slubfurt vorgestellt hat. Er spricht fließend Deutsch und Polnisch und einen Mischmasch aus beiden Sprachen – angeblich der Dialekt dieses Landstriches. Es ist Michael Kurzwelly, ein ursprünglich aus Darmstadt stammender Künstler, den es in diese Region an der deutsch-polnischen Grenze verschlagen hat. Kurzwelly ist so etwas wie der Erfinder, Motor und Rund-um-die-Uhr-Botschafter von Nowa Amerika.


Nowa Amerika (SWR-Mediathek)

(Video laut Sender abrufbar bis 17.Oktober 2017, 16 Uhr)

Kurzwellys Begeisterung für das Projekt ist ansteckend. Auch der Filmemacher, der den Film über weite Strecken aus der Ich-Perspektive erzählt, lässt sich ansteckend. Er gliedert die 60 Minuten in »Erkenntnisse« – das sind seine eigenen Erfahrungen mit der Idee hinter Nowa Amerika. Zu Beginn seines Filmes zeigt er weite Prärien – schon das sind Fantasiegebilde, denn es sind nicht die amerikanischen Landschaften, die im Western gezeigt wurden, sondern Getreidefelder, die sich rechts und links der Oder erstrecken. Eine Region, die schon immer als geteilt, aber auch als verbindend wahrgenommen wurde. Ein Verbindung zu schaffen und heraus zu finden, aus was ein Verbund besteht, der sich letztlich Heimat nennen kann, das ist auch der künstlerisch-politische Gedanke hinter dem Fantasieland Nowa Amerika. Dieses Land hat alles, was seine »Bürger« selbst erschaffen. Ein Parlament zum Beispiel, bestehend aus einem weißen Zelt. Nowa Amerika hat auch ein Bank, bei der man Zeit einzahlen und sich ausleihen kann.

An einer Stelle des Filmes bezeichnet der Filmemacher seine sich während der Dreharbeiten wandelnde Sicht auf dieses Projekt. Er sieht es als ein Gedankenspiel an, das jederzeit real werden könnte. Es ist eine Idee, die aus dem Nichts heraus Möglichkeiten schafft. Das passende Filmbild dazu sind die vielen helfenden Hände, die ein altes, brachliegendes Schulgelände wieder herrichten. Ein Abenteuerspielplatz für Fantasiebegabte. Ein »Slubfurter« – im parallelen Leben ein Amerikaner – pflanzt Gemüsestauden ein und lässt das neue Land damit sich selbst materialisieren.

Der Film beobachtet das Spiel mit der Fantasie. Letztlich ist es ein soziales Experiment, das in dieser Form überall möglich wäre. Eine Aussage, die zu Nowa Amerika passt. Wolkenkuckucksheime sind immer überall dort, wo es genug Fantasie gibt, sich etwas anderes vorzustellen als das, was ist.

Produziert wurde der Film von INDI Film (Stuttgart/Berlin) gemeinsam mit dem Südwestrundfunk. Dietmar Ratsch, sonst eher als Produzent (u.a. »Neukölln Unlimited«) tätig, fungierte für dieses Projekt auch als Kameramann. Die Reihe »Junger Dokumentarfilm«, die vom Südwestrundfunk und der MFG Filmförderung Baden-Württemberg getragen wird, präsentiert jährlich vier Filme von Diplomanden und Absolventen der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg.