Berlinale 2024: Das sind die Dokumentarfilme im Wettbewerb

Vom 15. bis 25.2.2024 steht die deutsche Hauptstadt wieder im Zeichen der Berlinale. Im Wettbewerb der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin konkurrieren zwei Dokumentarfilme um die Gunst der Jury: ARCHITECTON von Victor Kossakovsky und DAHOMEY von Mati Diop. 

Letzte Berlinale von Rissenbeek und Chatrian

Der Goldene Bär und die Silbernen Bären zählen zu den renommiertesten Filmpreisen weltweit. In der Abschiedsausgabe der Berlinale-Doppelspitze Mariëtte Rissenbeek (Geschäftsführerin) und Carlo Chatrian (Künstlerischer Leiter) sind 20 Filme im Internationalen Wettbewerb vertreten, darunter zwei Dokumentarfilme. Nachdem 2023 mit SUR L’ADAMANT (AUF DER ADAMANT) von Nicolas Philibert der einzige Dokumentarfilm im Wettbewerb mit einem Goldenen Bären geadelt wurde, darf man sich 2024 erneut Hoffnung auf die hohe Auszeichnung eines Genrevertreters machen. Auch in der Sektion Encounters sowie der Reihe Berlinale Special laufen etliche sehenswerte Dokumentarfilme. Eine Auswahl stellen wir ebenfalls in diesem Artikel vor.

„Ich bin stolz auf die diesjährige Filmauswahl, so wie ich es auch schon auf die der vergangenen Jahre war“, sagt Carlo Chatrian bei der Programm-Pressekonferenz am 22. Januar 2024. „Wie immer hoffen wir, dass sie Sehgewohnheiten herausfordert, unterhält und Fragen aufwirft.“ Ziel sei es, mittels des Mediums Film „die komplexe Welt, in der wir leben, etwas besser zu verstehen“.

ARCHITECTON von Viktor Kossakovsky (Wettbewerb)

Viktor Kossakovsky ist bekannt für seinen besonderen Blick auf scheinbar alltägliche Dinge – sei es in AQUARELA (2018), einer filmischen Meditation über das Element Wasser, oder in GUNDA (2020), das dem Leben eines Hausschweins, einer Hühnerschar und einer Rinderherde mit meisterhafter Intensität und in unkommentierten Schwarz-Weiß-Bildern nachspürt. 

Filmstill: ARCHITECTON von Viktor Kossakovsky

Auch ARCHITECTON, der von Ma.ja.de. Filmproduktions GmbH in Deutschland produziert wurde, dürfte dem Ruf des unkonventionellen Filmemachers wieder alle Ehre machen.

In seinem neuen Werk reflektiert der Regisseur darüber, wie Menschen in der Zukunft leben wollen – und können (Stichworte: Nachhaltigkeit und Ressourcenknappheit). Ankerpunkte seiner filmischen Auseinandersetzung bilden u. a. das Material Beton und sein Vorläufer Stein, aber auch ein internationaler Architekturwettbewerb zum Thema Bauen der Zukunft. „Kossakovsky ist einer der wenigen Filmschaffenden, die in ihren Werken einen visuell beeindruckenden Ansatz mit der echten Sorge um das Schicksal der Erde verbinden können“, so Chatrian.

DAHOMEY von Mati Diop (Wettbewerb)  

Die französische Regisseurin, Drehbuchautorin, Kamerafrau und Schauspielerin Mati Diop konkurrierte mit dem Filmdrama ATLANTIQUE 2019 um die Goldene Palme in Cannes und wurde mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Bei der Berlinale 2024 ist sie mit dem Dokumentarfilm DAHOMEY im Internationalen Wettbewerb vertreten. Dieser beleuchtet die Schätze des namensgebenden Königreiches, die während der Kolonialzeit geraubt wurden und sich bis zu ihrer Rückgabe an das westafrikanische Benin im November 2021 in französischen Museen befanden.

DAHOMEY skizziert den Umgang mit der Kolonialgeschichte und die Wechselwirkungen von Vergangenheit und Gegenwart. Auch fragt der Film nach dem Anerkennen der Schuld, die sogenannter Beutekunst innewohnt. „Ein perfektes Beispiel dafür, was Dokumentarfilm sein kann: 67 Minuten visionärer Erzählkunst“, freut sich Chatrian. Das offen gestaltete dokumentarische Werk soll auch fiktionale Elemente einbeziehen. 

Der französisch-senegalesisch-beninische Film steht zudem exemplarisch für die vielen internationalen Koproduktionen im diesjährigen Berlinale-Programm, die Chatrian während der Pressekonferenz immer wieder herausstellt.

Filmstill: DAHOMEY von Mati Diop
Filmstill: DAS LEERE GRAB von Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay

DAS LEERE GRAB von Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay (Berlinale Special)

Ein weiterer Dokumentarfilm, der das Thema Kolonialzeit aufgreift, ist DAS LEERE GRAB von Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay. Die deutsch-tansanische Produktion der Baden-Badener kurhaus production mit Kijiweni Productions aus Daressalam wird in der Reihe Berlinale Special gezeigt. Als Senderpartner ist das ZDF („Das kleine Fernsehspiel“) mit im Boot. Menschen aus Tansania suchen nach den sterblichen Überresten ihrer Vorfahren, die in der Kolonialzeit von Deutschen ermordet und zu Forschungszwecken sowie als Trophäen außer Landes gebracht wurden.

FAVORITEN von Ruth Beckermann (Encounters)

In der Sektion Encounters feiert Ruth Beckermanns Dokumentarfilm FAVORITEN seine Weltpremiere. Beckermann gewann in Berlin 2023 mit ihrem Dokumentarfilm MUTZENBACHER in der Sektion Encounters. In FAVORITEN begleitet sie Kinder mit mehrheitlich migrantischer Geschichte an einer Wiener Volksschule drei Jahre lang mit der Kamera.

„Beid, Hafsa, Melissa, Manessa, Mohammad … 25 Kinder und ihre engagierte Lehrerin. Wir wollten herausfinden, wer sie sind, wir wollten ihre Fähigkeiten und Strategien, ihre Freuden, Ängste und Nöte kennenlernen“, betont die Filmemacherin. „Schulen sind immer ein Spiegel der Gesellschaft“, befindet auch Chatrian, der im Film weniger eine soziologische Studie denn ein individuelles Porträt einer Klasse sieht, in dem der Dialog und das persönliche Wachstum von Kindern (und Lehrkräften) im Vordergrund stehen. 

Es dürfte spannend sein zu sehen, welche Parallelen sich zum vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilm HERR BACHMANN UND SEINE KLASSE von Maria Speth ziehen lassen, der 2021 sowohl den Silbernen Bären (Preis der Jury) als auch den Publikumspreis bei der Berlinale gewonnen hat.

Filmstill: FAVORITEN von Ruth Beckermann

UNE FAMILLE von Christine Angot (Encounters)

Ebenfalls in der Sektion Encounters ist die französische Schriftstellerin Christine Angot vertreten, deren Roman „Inzest“ insbesondere in Frankreich kontrovers diskutiert wurde und weitestgehend autobiografische Züge trägt. Ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm knüpft daran an: Im Mittelpunkt steht eine von Inzest betroffene Familie und die Frage, wie man Worte für das eigentlich Unsagbare finden kann.

DIRECT ACTION von Guillaume Cailleau und Ben Russell (Encounters)

Eine französische-deutsche Koproduktion von Cask Films mit VOLTE Films ist DIRECT ACTION. Die Regisseure Guillaume Cailleau und Ben Russell dokumentieren den Alltag einer der wichtigsten Aktivistengemeinschaften in Frankreich. Was macht die einzigartige politische Protest-Bewegung aus?

Weitere ausgewählte Dokumentarfilme

Im Berlinale Special läuft das 14-stündige dokumentarische Mammutwerk EXERGUE – ON DOCUMENTA 14 des griechischen Regisseurs Dimitris Athiridis, das zu den längsten jemals bei der Berlinale gezeigten Dokumentarfilmen gehören dürfte. Es begleitet den komplizierten und langwierigen Weg des künstlerischen Leiters Adam Szymczyk zur documenta 14 in Kassel und Athen (2017). Hier sind Neugier und Geduld der Zuschauer:innen gefragt.

Filmstill: AVERROÈS & ROSA PARKS von Nicolas Philibert

Ebenfalls im Berlinale Special feiert Vorjahresgewinner Nicolas Philibert die Weltpremiere von AVERROÈS & ROSA PARKS, das thematisch an SUR L’ADAMANT (AUF DER ADAMANT) anknüpft. Die namensgebenden zwei Abteilungen des Esquirol-Krankenhauses sind wie die Adamant dem psychiatrischen Zentrum Paris-Centre unterstellt. Philibert fragt erneut danach, wie es gelingen kann, die Menschlichkeit und Zugewandtheit in einem stark belasteten Gesundheitssystem zu bewahren.

Weitere Dokumentarfilme und dokumentarische Formate sind u. a. in den Sektionen Forum/Forum Expanded, Panorama und Generationen 14plus vertreten.

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Die Termine der Kino-Vorstellungen stehen ab 6.2.2024 auf der Berlinale-Homepage.