Filmschau BW: Dokumentarfilme werden politischer

Mit der feierlichen Preisverleihung im Alten Schloss endete die Filmschau Baden-Württemberg am 11.12.22. Der Baden-Württembergische Filmpreis, Kat. Bester Dokumentarfilm, ging an Susanne Binninger und Britt Beyer für „Auf der Spur des Geldes“.

Investigativer Journalismus unverzichtbar

Das Haus des Dokumentarfilms (HDF) und das Filmbüro BW dotieren den Preis mit 2.000 Euro. Der beeindruckende Dokumentarfilm „Auf der Spur des Geldes“ über die Arbeit der Redaktionsnetzwerks CORRECTIV wurde von der Stuttgarter Corso Film- und Fernsehproduktion hergestellt und von der MFG Filmförderung unterstützt. Nach der Vorführung im Stuttgarter Innenstadt-Kino EM2 am 8.12.22 gab es ein aufschlussreiches Filmgespräch mit der Redakteurin Susanne Mertens (ZDF/Arte), den beiden Produzenten Erik Winkler und Ümit Uludağ von Corso Film, dem Protagonisten Marcus Bensmann (CORRECTIV), Oliver Stahn (Ton) und dem Komponisten Marius Kirtsen über die Herausforderungen der Produktion.

Der Film hatte nach der TV-Ausstrahlung in der Mediathek über eine Million Abrufe. Bei DOKVILLE 2022, dem Branchentreff des Hauses des Dokumentarfilms, wurden die Entstehung und Risiken von „Auf der Spur des Geldes“ in einer Case Study diskutiert.

Filmgespräch "Auf der Spur des Geldes"
Filmgespräch „Auf der Spur des Geldes“: Susanne Mertens (ZDF/Arte), Erik Winkler und Ümit Uludağ (Produzenten Corso Film), Marcus Bensmann (Correctiv), Moderatorin Filmschau, Oliver Stahn (Ton) und Marius Kirtsen (Musik) © Ronny Schoenebaum/Filmschau

Filmpreise – Wichtige Motivation und Anerkennung


Preisverleihung: Antonia Kilian (Regisseurin), Ulrike Becker (HDF), Oliver Mahn (Filmbüro BW) ©Kay Hoffmann/HDF

Die Jury (Antonia Kilian, Elisa Kromeier, Ulrike Becker) begründete ihre Entscheidung: „Susanne Binninger und Britt Beyer begleiten zwei hochbrisante Investigationen des Recherchenetzwerks CORRECTIV: eine millionenschwere Spendenaffäre zugunsten der AfD und parallel dazu den Steuerbetrug mit CumEx-Geschäften, bei dem Milliardensummen aus öffentlichen Kassen verschwinden. Der Film erzählt komplexe Zusammenhänge spannend wie ein Krimi – nur leider stammt dieser aus der Realität. Und er zeigt, dass freie Medien unverzichtbar sind für das Gelingen von Demokratie.“

Auch wenn sie nicht persönlich zur Preisverleihung kommen konnten, freuten sich die beiden Regisseurinnen Susanne Binninger und Britt Beyer über die Auszeichnung: „Wir wollten aufzeigen, wie wichtig investigativer Journalismus als vierte Gewalt ist. Das ist auch deswegen gelungen, weil wir Partner hatten, die hinter uns standen. Für uns als Regisseurinnen ist die Auszeichnung definitiv ein Ansporn, auch weiterhin solch herausfordernde Projekte zu wagen.”

Spielfilm – Ukrainische Regisseurin Marysia Nikitiuk gewürdigt

Bewegend war die Preisverleihung in der Kategorie Bester Spielfilm. Der mit 2.000 Euro dotierte Preis ging an die ukrainische Regisseurin Marysia Nikitiuk für ihren Film „Lucky Girl“ über eine exzentrische Fernsehmoderatorin, die mit einer Krebsdiagnose konfrontiert wird. Im Onlinegespräch mit Festivalleiter Oliver Mahn zog die aus der Ukraine zugeschaltete Regisseurin Parallelen zwischen ihrem Film und dem brutalen Angriffskrieg Russlands, der wie ein Krebsgeschwür wirke.

Schwierige Produktionsbedingungen bei „Lucky Girl“

Der Stuttgarter Co-Produzent Sven Schnell (san cinema) war vor Ort und erzählte mehr über die schwierigen Produktionsbedingungen, die zunächst von der Corona-Epidemie und dann vom Angriff Russlands bestimmt wurden. Schnell sprach mit Bewunderung vom Durchsetzungswillen der Regisseurin, ihren Film „Lucky Girl“ trotzdem zu realisieren. Die Spielfilm-Jury lobte: „Der Film schont seine Hauptfigur zu keiner Sekunde und konfrontiert sie in ihrem Überlebenskampf mit der Wirklichkeit von sozialer Ausgrenzung und Todesangst, die oft nur mit sarkastischem Humor ertragen werden kann.“

Vom Überwinden von Hindernissen

Insgesamt liefen auf der Filmschau Baden-Württemberg zahlreiche Dokumentarfilme von Nachwuchstalenten und Profis. Sehr deutlich wurde, dass gerade Studierende zunehmend politische Themen wählen. Ihr Spektrum reicht von Filmen über Politiker:innen, Geflüchtete, Lebensbedingungen in Konfliktgebieten, alternative Lebensformen, bürgerliches Engagement, Corona und Polarisierungen in der Gesellschaft, etwa durch Querdenker.







Filmstills „Free Runner“, Regie: Kilian Falter Vidal © Filmschau BW

Beim Jugendfilmpreis BW, der die Altersgruppe bis 22 Jahren umfasst, hat das HDF den Preis für das beste dokumentarische Newcomer-Projekt mit 500 Euro dotiert. Die Jury, Katharina Parpart (Filmbüro BW), Helgi Schmid (Schauspieler), Frederik Zeugke (HMDK Stuttgart) und Anna Leippe (HDF), entschieden sich für „Free Runner“.

Bestes dok. Nachwuchsprojekt – „Free Runner“ 

Im Kurzfilm „Free Runner“ porträtiert der Regisseur Kilian Falter Vidal den Parcours-Athleten Alan R., dem dieser Sport alles bedeutet. Seine Interviewpassagen werden mit seinen sportlichen Aktivitäten kontrastiert. Die Jury lobte: „Kunterbunte Erlebnis- und Abenteuerwelt trifft auf Schwarz-Weiß Look. Atmosphärisch dicht, wunderbar einfühlsam und klug visualisiert Kilian Falter die Perspektiven seines Protagonisten auf dessen Umwelten. Die ihn ausgrenzende Welt von Mobbingerfahrungen hallt nach, auch wenn er dieser schon längst entsprungen ist. (…) Unaufgeregt und mit liebevoller Ernsthaftigkeit rutschen die Zuschauenden nicht in eine Risikosportart, sondern eine Sehnsucht, Hindernisse in unserem Alltag spielerisch überwinden zu können.“


Preisverleihung: Anna Leippe (HDF), Frederik Zeugke (HMDK Stuttgart), Kilian Falter Vidal (Regisseur) und Oliver Mahn (Filmbüro BW)
© Ronny Schoenebaum/Filmschau BW

Ehrenpreisträger Dieter Krauß 

Mit dem diesjährigen Ehrenpreis zeichnete die Filmschau Dieter Krauß, einen weit über Baden-Württemberg hinaus bekannten unermüdlichen Kämpfer für das anspruchsvolle Kino, aus. Im Laufe von vier Jahrzehnten hat Krauß für den Aufbau einer Film- und Medienlandschaft in Baden-Württemberg unendlich viel bewegt, hat vieles angestoßen und ermöglicht. Er war 1982 Mitbegründer des Kommunalen Kino Villingen-Schwenningen, arbeitete dort ehrenamtlich und wechselte 1999 zur MFG Filmförderung als Prokurist. Ab 2017 war er kaufmännischer Leiter der Film- und Medienfestival gGmbH, die unter anderem das Internationale Trickfilmfestival und den Kongress Raumwelten organsiert.

Ehrenpreisträger Dieter Krauß (Mitte), Carl Bergengruen (MFG, links), Oliver Mahn (Filmbüro BW, rechts) © Ronny Schoenebaum/Filmschau BW

Ein leidenschaftlicher Cineast

Dieter Krauß ist ein Filmenthusiast, der anspruchsvolle Filme und Filmfestivals liebt. Er ist weiterhin „trotz Rente“ noch in zahlreichen Gremien aktiv, wie Laudator Carl Bergengruen von der MFG Filmförderung hervorhob: „Deine Bereitschaft zum netzwerken übertrifft alles, was ich jemals erlebt habe. Du bist bei allem, was mit Kino zu tun hat und bei sämtlichen Veranstaltungen immer präsent.“