Berlinale III

Berlinale und Dokumentarfilm III

Ein packendes Porträt über Mario Adorf von Dominik Wessely, ein Selbstporträt von Agnes Varda und die Auseinandersetzung mit einem sehr alten Afrikabild sind Themen von drei Dokumentarfilmen, auf die Kay Hoffmann heute näher eingeht.

Er hätte überhaupt kein Bedürfnis gehabt, dass ein Film über ihn gedreht wird und sei skeptisch gewesen, ob er überhaupt gelingen kann, bekannte Mario Adorf im Gespräch nach der umjubelten Vorführung. Von daher ist der Titel des Dokumentarfilms von Dominik Wessely »Es hätte schlimmer kommen können – Mario Adorf« durchaus symptomatisch zu verstehen. Doch seine Befürchtungen waren völlig umsonst. Mit so viel Witz und Energie erzählt Adorf von wichtigen Stationen in seinem Leben, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer schnell mitgerissen werden. Es wurde viel gelacht und es gab an einigen Stellen Szenenapplaus. Dies ist auf der Berlinale äußerst selten. Es waren zahlreiche prominente Gäste anwesend wie Senta Berger, Margarete von Trotta, Angela Winkler und Volker Schlöndorff. Adorfs Kindheit war nicht einfach. Seine alleinerziehende Mutter schlug sich mit Näharbeiten durch, um den Lebensunterhalt zu sichern. Das Rattern der Nähmaschine war sein Nachtlied. Sein Traumberuf war Bildhauer oder Schauspieler. Sein Vorsprechen in der Falckenbergschule in München ging eigentlich daneben. Doch ein Professor erkannte Kraft und Naivität bei ihm und so wurde er aufgenommen. Er wartete nicht auf sein Glück, sondern nahm es, wenn sich die Chance bot. So begann seine Theater- und später internationale Filmkarriere. Er wurde zu einem richtigen Star. Toll die Montage, die seine verschiedenen Rollen thematisch zusammenfasst. Die leichte und dynamische Musik ist ein weiteres Erfolgsrezept dieses Films. Auf die Frage eines Zuschauers appelierte er, sich gegen rechte Strömungen zu wehren und sich für ein gemeinsames Europa stark zu machen. Der NFP-Verleih wird den Film im Herbst ins deutsche Kino bringen.

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Szene aus: »Varda par Agnès« | Foto: Cine Tamaris

Eine ganze andere Form wählte die 90jährige Agnès Varda, um in ihrem Selbstporträt »Varda par Agnès« über ihr Leben und Schaffen zu reflektieren. Sie sitzt auf einer Bühne in einem Opernhaus und in einem Kino und erzählt mit ruhiger Stimme von ihren Erlebnissen und versucht ihre Filme in einen assoziativen Zusammenhang zu bringen. Dazu gibt es Fotos und Filmausschnitte. Wichtige Begriffe ihres Schaffens ist Inspiration, Kreation und Verteilen. Sie lässt sich gerne vom Alltag inspirieren, die kreative Umsetzung ist oft genau geplant und schließlich geht es darum, die Filme einem Publikum zu präsentieren. Sie schlägt einen Bogen von ihren ersten Fotos am Theater, dem ersten Film 1954 zu ihren aktuellen Arbeiten. Seit der Jahrhundertwende arbeitet sie mit kleinen Digitalkameras, die ihr mehr Freiheit geben, Menschen direkt zu drehen. Und sie begann, Medien Installationen für Kunst-Ausstellungen zu schaffen. Dabei bricht sie die Linearität des Films auf, in dem sie beispielsweise mit Splittscreen arbeitet. Die betont immer wieder, wie wichtig ihr das Dokumentarische ist und dass sie auch in ihren Spielfilmen dokumentarische Momente einbaut. »Varda par Agnès« ist ein sympathisches Porträt, das jedoch selten überrascht und wie eine Bilanz des Lebens wirkt. Dies hatte sich schon einmal mit 80 Jahren gemacht. In diesem Jahr wird sie mit einer Berlinale Kamera gewürdigt. Auf der Berlinale 1965 hatte sie für »Glück« schon einen Spezialpreis der Jury gewonnen.

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Foto aus »African Mirror« | Foto: Ton und Bild GmbH

Dem Schweizer Filmemacher und Reiseschriftsteller René Gardi widmet  Mischa Hedinger in »African Mirror« ein Portrait. Er selbst bezeichnet den Film als gefährlich, da Gardi ein besonderes Wunschbild von den edlen Wilden in Afrika zeichnet, das aus heutiger Sicht rassistische Züge trägt. Darf man solche Positionen heute noch veröffentlichen? Hediger verzichtet zudem auf einen distanzierenden Kommentar oder die Einordnung durch Experten, sondern lässt die Bilder und Texte von Gardi selbst sprechen. Ihm gelingt es, dass die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz dieser Person deutlich werden. Es fängt schon damit an, dass er für seine Aufnahmen in Nordkamerun diese aktiv gestaltet. Für eine Hochzeit sind als Preis drei Ziegen vereinbart. Für den Film ist ihm das zu wenig. Es müssen mindestens acht sein. Er beobachtet nicht, sondern lässt die Schwarzen Situationen spielen, die er sich ausgedacht hat und bezahlt sie dafür. In den 1950er und 1960er Jahren war er mit seinen Filmen und Buchveröffentlichungen sehr erfolgreich und wurde nicht hinterfragt. Sein Film »Mandara« lief auch auf der Berlinale. Bevor er mit seinen Reisen begann, war er in den 1940er Jahren Lehrer und missbrauchte einige Schüler. Dies wurde zwar unter den Teppich gekehrt, aber er dürfte nicht mehr unterrichten. So begann er seine Reisen nach Afrika. Als es dann organisierte Pauschalreisen nach Kamerun gab – durchaus auch als Folge seiner Filme – störte ihn, dass die Touristen auch nichts anderes taten, als die Naturvölker zu fotografieren und zu filmen. Sie versuchten sein Afrikabild zu entdecken, das es so garnicht gab. Ganz problematisch sind seine Kommentare, als in den 1960er Jahren viele afrikanische Länder ihre Unabhängikeit bekommen und er ihnen dieses schlicht nicht zutraut. Hier lobt er die ordenende Kraft der Kolonialmächte, die den Ländern Ordnung und Ruhe gebracht hätten und verschweigt die damit verbundene Unterdrückung und Ausbeutung. In seinen zahlreichen Büchern und Filmen spiegelt sich der imperialitische Zeitgeist. Auf der anderen Seite kritisiert er, dass die Überflutung mit europäischen Kitsch die afrikanische Kultur verdrängen würde. Entsprechend hitzig war die Diskussion im Anschluss an den Film, da einige doch massiv die Distanzierung von diesen Positionen einforderten. Von daher hat Mischa Hediger recht, dass es sich um einen gefährlichen Film handelt. Denn diese Gratwanderung, dem klischeehaften Afrikabild von René Gardi eine Plattform zu bieten und die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst die Widersprüchlichkeit entdecken zu lassen ist durchaus ein Risiko in Zeiten des Erstarkens von nationalistischen Strömungen mit rassistischen Polemiken. Es ist trotzdem ein wichtiger Film, der genau diese Positionen von René Gardi entlarvt und deutlich macht, wie prägend sie waren für unsere westlichen Gesellschaften.       

Titelfoto: Szene aus: »Es hätte schlimmer werden können« | Foto: Coin Film