TV-Tipps 14./19.2.: Der Deutsche Film ist eine schöne Leiche

Die beiden wichtigsten Dokumentarfilme dieser Tage laufen heute Abend bei Arte und am Montag im WDR: Dominik Graf und Johannes F. Sievert haben in zwei Dokumentarfilmen untersucht, weshalb der Deutsche Film dort liegt, wo er liegt: in einer Leichenhalle unterm Messer des Pathologen. Eine filmische Spurensuche nach Tätern, Motiven und Alibis und dem verzweifelten Versuch, aus der DNS eines einstmals wilden Genres ein Comeback zu züchten.

 

Szene aus »Offene Wunde Deutscher Film« © tbc
Szene aus »Offene Wunde Deutscher Film« © tbc

Arte, 14.2., 21:35 Uhr: Offene Wunde Deutscher Film
WDR, 19.2., 23:20 Uhr: Verfluchte Liebe Deutscher Film

Der deutsche Filmemacher Dominik Graf hat sich in (bisher) zwei Dokumentarfilmen dem Zustand des Deutschen Filmes und seiner (Fehl-)Entwicklung nach 1945 angenommen. Beide höchst sehenswerte Werke werden innerhalb weniger Tage nun im Fernsehen gezeigt: Arte zeigt am Mittwoch »Offene Wunde Deutscher Film«, am Montag kommender Woche folgt der WDR dann mit »Verfluchte Liebe Deutscher Film«, der eigentlich als erster Film gesehen werden sollte.

Natürlich ist Dominik Graf kein Unbeteiligter. Mit mehr als 50 Filmen – die meisten davon fürs Fernsehen, einige davon wie »Die Katze« den Meilensteinen des Genres zuzurechnen – ist er unter Deutschlands Filmschaffenden eine der wichtigsten Stimmen. Wenn dieser Dominik Graf seine (bisher) zwei Dokumentarfilme über die Herkunft, den Zustand und das Nichtvorhandensein des Deutschen Films mit einem Satz eröffnet, der wie die Eröffnung einer Totenrede klingt, dann hat das Gewicht.

»Der Deutsche Film ist tot« heißt es gleich in den ersten Sekunden von »Verfluchte Liebe Deutscher Film«. Das ist natürlich ein Einstieg wie aus einem Krimiscript: gleich am Anfang ein Mord pusht das Adrenalin hoch. Graf und sein Co-Autor Johannes F. Sievert betätigen sich aber eher als Pathologen, die im gekachelten Nichts eines Tatort-Leichensaals einen toten Korpus sezieren. Am Zustand der Leiche gibt es nichts zu deuteln und Besserung ist ohnedies nicht mehr zu erwarten. Der Fall könnte abgeschlossen werden. Alles klar, Herr Kommissar?

Nun nimmt sich ein viel beschäftigter Autor und Regisseur wie Dominik Graf natürlich nicht so viel Zeit für zwei Mal 90 Minuten, um allein Trauergesänge anzustimmen. Zur Leichenschau sind Gäste geladen, die am Zustand des Dahingeschiedenen eine mehr oder weniger große Schuld tragen – und sei es auch nur, indem sie den Verblichenen kannten. Wobei an dieser Stelle gesagt werden muss, dass Dominik Graf und sein Werk bis auf wenige Off-Kommentare und eine kurze Nennung von »Die Katze« selbst nicht auftauchen. Aber nicht nur sein Alibi ist wackelig.

Szene aus »Blutiger Freitag«, einem deutsch-ital. Genrefilm von 1972 © Rolf Olsen
Szene aus »Blutiger Freitag«, einem deutsch-ital. Genrefilm von 1972 © Rolf Olsen

Viele Zeugen, ein paar Verdächtige und eine Schuldige: die Filmförderung

Die Zeugenbefragung ist aufwändig. Wobei die üblichen Verdächtigen wie Herzog, Wenders, Emmerich schweigen müssen wie ein Grab – sie werden gar nicht erst gefragt. Am stärksten konzentriert sich das Fahnder-Duo auf die beiden Independent-Regisseure Roland Klick und Klaus Lemke; Wolfgang Petersen wirkt da als erfolgreicher Filmemacher schon deutlich arrivierter. Doch auch er kann von der Inspiration des amerikanischen Kinos erzählen, das ihn wie andere nach dem Krieg packte. Die Nouvelle Vague aus Frankreich war eine zweite Quelle. Die Antwort der Deutschen, im Oberhausener Manifest kulminierend, kommt aufgesetzt rüber. Programmatisch, nicht so anarchisch. Lemke und Freunde meinen mit Film etwas anderes. Überproduzent Artur Brauner, der im ersten Teil noch eines seiner wenigen Interviews gibt, muss beim Dahinscheiden des Deutschen Films eher als Verdächtiger befragt werden. Eher unverdächtig: die Schauspieler Mario Adorf und Werner Enke; sie erzählen vor allem von der unbändigen Lust aufs Spielen oder aufs Nichtspielen. Eine Lust, die bald schon nicht mehr in Deutschland ausgelebt wurde, sondern im maskulinen Italien. Schweiß, Blut, Tränen – nennen wir es Testosteron-Kino – hatte im Neuen Deutschen Film nach Oberhausen nur noch Platz im Bahnhofskino.

Gerade das Abhandenkommen dieser wilden Lust am Filmemachen beklagen Graf und Sievert. Am Fernsehen soll es nach ihnen nicht gelegen haben. Da erinnern sie an die überraschenden Spiele mit der Realität eines Wolfgang Menge. Doch auch das ist längst Vergangenheit. Heute pilcherts, wo einst der »Smog« die heile Welt des TV-Zuschauers bedrohte.

Wo führt die Spur in dieser Morduntersuchung letztlich hin? Big Brother könnte es gewesen sein. Der große Kontrollwahn einer konservativen Gegenbewegung. Nicht Zensur hat den Deutschen Film gemeuchelt, sondern die Filmförderung. Bürokratie statt Kreativität. Wie Roland Klick so erzählt, dass er einzelne Entscheidungsträger beim Kampf um die Förderung seiner Filme zu Hause aufgesucht habe, wirkt das wie das Script zu einem Schmuddelfilm.

»Offene Wunde Deutscher Film« endet mit einem kolportieren Zitat aus der amerikanischen Johnny-Carson-Tonight-Show: »What are you doing in Germany?« Zuckt die Leiche noch? Was wollen wir tun? Deckel drauf und Erde drüber? Kann man aus der DNS noch ein Comeback klonen? Fast scheint es, als hätten die Kommissare Graf und Sievert bei ihrer Ermittlung die Hoffnung auf eine Wiederauferstehung der Leiche nicht verloren.

Sterben ist ein langsamer Prozess. Wie im Film stirbt sich’s nie. Ob das für einen Cliffhanger reicht?