Filmstill: DAS LEERE GRAB von Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay

DAS LEERE GRAB: Deutsche Kolonialverbrechen, verdrängt und unbekannt

Das Haus des Dokumentarfilms präsentiert DAS LEERE GRAB von Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay als DOK Premiere. An die Screenings, Mittwoch 22.5., Caligari Ludwigsburg und Donnerstag, 23.5., Atelier am Bollwerk Stuttgart, jeweils 19:30 Uhr, schließt sich ein Publikumsgespräch an.

Filmstill aus DAS LEERE GRAB, Berlinale 2024
Filmstill aus DAS LEERE GRAB, Berlinale 2024

Das heutige Tansania stand von 1885 bis 1918 unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Widerstand der einheimischen Stämme fand seinen Höhepunkt 1905 bis 1907 im Maji-Maji-Aufstand, einem der größten Kolonialkriege auf dem afrikanischen Kontinent. In diesem Konflikt und der durch ihn ausgelösten Hungersnot starben bis zu 300.000 Menschen.

Zu den Widerstandskämpfern, die wie Tausende von den deutschen Truppen hingerichtet wurden, gehörte 1906 Songea Mbano. Sein Leichnam wurde begraben, das Grab jedoch wieder geöffnet und der Schädel abgeschnitten. In einer Kiste wurde er zu „Forschungszwecken“ nach Deutschland geschickt. Wie Tausende von Knochen und Schädeln afrikanischer Herkunft lagert er heute in einem deutschen Museum. Meist sind es Völkerkundemuseen – schon der Name ist gruselig.

Aufarbeitung rassistischer und kolonialistischer Verbrechen

Noch heute lastet auf den Nachfahren von Songea Mbanos neben der Trauer um das Leid, das Ostafrika angetan wurde, die Bürde, die Gebeine des Ermordeten nach Tansania zurückzuholen. Eine Erwartung, die seit mehr als 100 Jahren an die nächste Generation weitergegeben wird. Der Urenkel John Mbano, Anwalt von Beruf, macht sich – beauftrag von den Ältesten – zusammen mit seiner Frau Cesilia Mollel, einer Geschichtslehrerin, auf den Weg nach Deutschland. Angetrieben sind die beiden von der Hoffnung, dass ihre eigenen Kinder vom Verlust, der seit Generationen wie ein Schatten über der Familie hängt, einmal befreit sein werden. Diese Reise begleiten Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay mit der Kamera.

DAS LEERE GRAB ist eine Produktion der in Baden-Baden ansässigen Firma Kurhaus Production in Zusammenarbeit mit dem ZDF und Kijiweni Productions in Daressalam Tansania.

Die Suche führt nach Berlin

In Berlin trifft das Ehepaar auf Aktivisten der Restitutionsdebatte, sie recherchieren in Museen und Archiven und erhalten schließlich einen Termin mit einer ranghohen Regierungsvertreterin im Auswärtigen Amt. Vor ihrer Rückkehr in die Heimat können sie in den Räumen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Gebeine von Afrikanern sehen, von denen sie hoffen, dass ihr Urgroßvater dabei ist.

Bei ihren Nachforschungen stoßen sie auch das Skelett eines Anführers aus dem Norden Tansanias, Mangi Lobulu Kaaya. Dieser wurde von der deutschen Kolonialarmee im Jahr 1900 zusammen mit 18 anderen Anführern hingerichtet. Die Familie Kaaya, die heute im Norden Tansanias lebt, erhält die bewegende Nachricht von dem späten Fund. Jetzt scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Kaayas ihren Vorfahren nach Hause bringen und begraben können. Nicht nur die Familie ist erleichtert, sondern die ganze Community, die sich nach der Rückkehr des verstorbenen Anführers sehnt. Das Ende der langen Zeit der Trauer scheint zum Greifen nah.

Zurück in Tansania erfahren die Mbanos, dass sich der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Staatsbesuch in Tansania angekündigt hat. Er will sie treffen und sich ihre Geschichte persönlich anhören. Beim Besuch ihres Heimatdorfs entschuldigt sich der Bundespräsident tatsächlich bei der Familie Mbano und der Gemeinschaft. Doch wie geht es weiter?
John Mbano und Cesilia Mollel warten derzeit auf das Ergebnis eines DNA-Tests, mit dem das Berliner Naturkundemuseum die Herkunft eines Schädels prüfen will. Wann und ob, die gestohlenen Gebeine nach Tansania zurückkehren, wissen sie nicht.

Filmstill aus DAS LEERE GRAB, Berlinale 2024
Filmstill aus DAS LEERE GRAB

Interview mit den Regisseurinnen Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay zu DAS LEERE GRAB

Während das Thema Restitution politisch intensiv diskutiert wird und inzwischen auch in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist, sind wir beide uns persönlich begegnet, verbunden durch die gemeinsame Geschichte unserer Länder Tansania und Deutschland. Als zwei Filmschaffende, die sich jeweils schon lange mit Themen wie Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Community beschäftigen, haben wir gemeinsam den Pfad der abstrakten politischen Debatte verlassen und einen neuen Weg eingeschlagen – einen in Richtung persönlicher Erfahrungen und erlebter Geschichte.

Unsere Fragen an diese schmerzhafte Vergangenheit drehten sich um das durch den Kolonialismus verursachte Trauma, um die Gewalt und das Leid, die die Menschen erlitten bzw. verursacht haben, und um die Geister dieser nicht verarbeiteten Vergangenheit, die uns bis heute heimsuchen. Und so hat die ganze Geschichte für uns angefangen.

In den Kellern deutscher Museen lagern Tausende von Pappkartons im Dunkeln. Sie enthalten keine Kulturgüter, keine Objekte, sondern menschliche Gebeine. Wer waren diese Menschen? Ohne ihre Namen zu kennen, war uns klar: Sie alle waren Mitglieder einer Familie, einer Community und Gesellschaft. Wir wollten ihnen ihre Menschlichkeit zurückgeben.

Die Suche begann in Tansania, dem größten Land der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“. Die deutsche Kolonialherrschaft gilt als eine der brutalsten. Sie war aufgebaut auf einem Gewaltsystem aus Zwangsarbeit, sexualisierter Gewalt, der in Deutschland damals schon verbotenen „Prügelstrafe“ und willkürlichen Exekutionen. Communities wurden oft gezwungen, Hinrichtungen mit anzusehen. Männer, Frauen und Kinder verschwanden, sie wurden ihren Familien entrissen und tauchten nie wieder auf.

Die Restitutions-Diskussion wurde bisher vor allem von Politiker:innen und Wissenschaftler:innen geprägt – von Menschen, die sich professionell damit beschäftigen. In dieser Debatte, die sich um die Rückkehr menschlicher Gebeine dreht, haben immer entscheidende Stimmen gefehlt: die der Communities und vor allem der Familien, die die Abwesenheit ihrer Ahnen nun seit über einem Jahrhundert ertragen. Ihre Stimmen wurden nicht gehört.

„Das leere Grab“ kann einen Beitrag zu Heilung leisten. Die beiden Familien sowie deutsche und tansanische Aktivist:innen nehmen uns mit auf ihren persönlichen Weg, um endlich Frieden für die Vorfahren zu finden und damit die immer noch andauernde Trauer in den Familien und Communities zu beenden. Sie fordern lethargische Politik und institutionellen Rassismus heraus und beschäftigen sich mit dem intergenerationellen Trauma – in der Hoffnung, die Gebeine der Ahnen nach Hause zu holen.

Unsere Aufgabe als Regisseurinnen war es, diese Geschichte aus der Perspektive zu erzählen, die uns am wichtigsten ist. Im Bewusstsein, dass das Private politisch ist, haben wir uns von den Perspektiven der Familien durch den Entstehungsprozess dieses Films leiten lassen.

(Quelle: Salzgeber)

 

Filmstill aus DAS LEERE GRAB, bearbeitet für DOK Premiere

DAS LEERE GRAB

Dokumentarfilm von Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay
Produktion: kurhaus production, Kijiweni Productions in Koproduktion mit ZDF/Das Kleine Fernsehspiel. Förderung: MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, Die Beauftragte für Kultur und Medien (BKM), Deutscher Filmförderfonds (DFFF). Unterstützung: Heinrich-Böll-Stiftung.

Eine Veranstaltung des Hauses des Dokumentarfilms in Kooperation mit Salzgeber Medien; in Stuttgart zudem mit der Heinrich Böll Stiftung.

Caligari Kino Ludwigsburg
Mi, 22.05.2024, 19.30 Uhr

Filmgespräch mit Produzent Christoph Holthof.

https://www.kinokult.de/dok-premiere.html

Atelier am Bollwerk Stuttgart
Do, 23.05.2024, 19.30 Uhr

Filmgespräch mit den Regisseurinnen Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay.

arthaus-kino.de/specials/premieren/

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